Sonntag, 31. Oktober 2010

Prolog

Hallo und Guten Tag!

Ein großes Dankeschön erstmal an alle, die sich hierher, auf meine Seite, verirrt haben!

Indian Summer, das ist meine Geschichte. Die zweite, die ich wirklich zuende geschrieben habe und die mir wahnsinnig am Herzen liegt. Im Januar 2009, als ich selbst noch total im Twilightfieber war (pre-mainstream, bitte!), bekam ich die Idee eine Fanfiction über meinen Lieblingscharacter Seth Clearwater zu schreiben. Die Geschichte wurde schnell zu lang für den angestrebten Wettbewerb, aber ich konnte einfach nicht aufhören zu Hause, im Bus, in der Schule oder sonst wo zu schreiben. Und so war die Geschichte bereits im August kurz vor dem Finale angelangt. Schulstress und mangelnde Kreativität verlangsamten die letzte Schaffensperiode allerdings erheblich und so kam Indian Summer - A Wolfish Love erst im Frühsommer 2010 zu seinem (hoffentlich) würdigem Ende.

Da es sich allerdings um eine Fanfiction handelt, besitze ich wahrscheinlich nur die Rechte für Amy Westwood und ihre Handlungen. Trotzdem.

Ich wünsch allen viel Spaß beim Lesen! Bei Fragen, Kritik oder Unklarheiten einfach melden, bitte.
Ach so! Hier rechts befindet sich die Liste der Kapitel. Das oberste ('Wer wartet schon auf SIE?') ist das Erste und dann bitte von oben nach unten Lesen! Außerdem findet sich hier noch eine Leseprobe von mir, die auch auf Youtube zu finden ist.

Mit Freundlichen Grüßen,

Lena Ziehfreund,
Autorin

Leseprobe

Ausschnitt aus dem mittleren Teil des Textes. Außerdem eine Schlüsselstelle, also spoilert euch lieber nichts und fangt erstmal an zu lesen.



Mit Tyler Posey als Seth Clearwater und Danielle Panabaker als Amy Westwood.
I don't own any of the clips. Copyright by their rightful owner.

Zukunftspläne

Whenever, wherever
We're meant to be together
I'll be there and you'll be near
And that's the deal my dear
- Whenever, Wherever * Shakira



- Amy -

Die Tage vergingen und ich verbrachte jeden einzelnen an Seths Seite.
Er lag die meiste Zeit im Bett, ich neben ihm, und schonte sein Bein, genau wie Carlisle ihm gesagt hatte. Der Bruch war gut verheilt, aber Seth bewegte es noch immer so wenig wie möglich. Wahrscheinlich auch, weil er es einfach genoss, den ganzen Tag mit mir im Bett zu liegen.
Doch mir war das nur Recht.
Seit dem albtraumhaften Tag an den wir alle nicht mehr denken wollten, waren wir noch unzertrennlicher als zuvor.
Mich traf man kaum noch in Forks an, selbst die Nächte verbrachte ich auf Leahs Couch. Sie war bei weitem nicht so bequem wie Seths Bett, aber ich hatte es meiner Cousine versprechen müssen.
Leah hatte an jenem Tag bei meiner Tante angerufen und ihr mitgeteilt, dass Seth beim Wandern verunglückt war und mich jetzt brauche. Meine Familie verstand und wollte uns diese Lage nicht noch schwerer machen, als sie ohnehin schon war.
Angela war an dem Abend noch vorbei gekommen und hatte mir ein paar meiner Sachen gebracht. Seth hatte sich schlafend gestellt und meine Cousine war einfach nur froh gewesen, dass uns nichts Schlimmeres passiert war, wie sie sagte. Ich stimmte ihr zu und setzte mich wieder an Seths Bett.
Als ich meine Finger durch sein dunkles Haar gleiten ließ sah ich, wie sich seine Mundwinkel leicht nach oben bewegten.
Angela lächelte mir zu. „Es geht ihm bestimmt bald wieder gut. Grüß ihn von mir, wenn er wach wird.“
„Mach ich, Ang. Danke, du bist die Beste.“
„Keine Ursache.“ Dann drehte sie sich um und schloss die Tür leise hinter sich.
Ein paar Sekunden später öffnete Seth die Augen und lächelte mir wieder zu.
„Ich bin so froh, dass du da bist“, sagte er flüsternd und mit so vielen Emotionen, dass mein Herz, das an diesem Tag schon so viel durchgemacht hatte, kurz in meiner Brust stockte, bevor es viel zu schnell weiterschlug.
„Ich werde immer für dich da sein“, murmelte ich und vergrub mein Gesicht in seinem Haar. „Immer.“
Ich hatte mich entschieden.
Ich würde bei ihm bleiben, bei ihm und unserer Familie. Ich konnte sie einfach nicht verlassen. Jetzt nicht mehr.
Ich legte meinen Kopf behutsam auf seine Schulter und schloss meine Augen.
Ich spürte seine Wärme, das Heben und Senken seiner Brust beim Atmen, roch seinen unverwechselbaren Duft. Er würde Mein sein, für immer. Wie ich ihm nur hatte misstrauen können. Er war die wundervollste Person, die es auf der ganzen Welt gab. Er war mein Leben.

Am nächsten Morgen ging es ihm schon besser und er strahlte, als ich mit dem Frühstück auf einem Tablett in sein Bett kletterte.
Leah grinste, als sie hereinkam und uns so sah. Sie meinte, die anderen würden bald vorbeikommen.
Mit geröteten Wangen schlüpfte ich schnell unter der warmen Decke hervor, nahm das leere Tablett vom Nachttisch, wo Seth es abgestellt hatte und lief barfuß über die Holzdielen zur Tür.
Ich schloss sie hinter mir uns sah Leah, grinsend an der Wand lehnend.
„Ich hab dir ja gesagt, dass alles gut wird“, sagte sie leise.
Lächelnd gingen wir zusammen den Flur hinunter. „Ja. Hast du.“
Als ich Leahs Blick von der Seite spürte, drehte ich mich zu ihr, um zu fragen, was los war, doch ich starrte sie nur an, als ich ihren veränderten Gesichtsausdruck sah.
Er war bedrückt, gequält, sorgenvoll.
Hastig schlug sie die Augen nieder. „Amy“, sagte sie traurig. Dann schwieg sie wieder.
Ich wartete, verwirrt. Mein Puls begann zu rasen. Etwas in meinem Hals schwoll an.
„Er … er … er wird es nicht überstehen, wenn du nochmal gehst, weißt du.“
Wieder Stille.
„Was meinst du?“ Meine Stimme klang zittrig, ich war noch verwirrter. „Leah, ich werde ihn nicht nochmal verlassen, niemals. Ich …“
„Amy, mach dir nichts vor“, unterbrach sie mich. „Der Sommer ist fast vorbei, du musst zurück nach D.C. … Seth wird das nicht überleben, ich meine das Ernst. Er wird …“
In meinem Kopf machte es klick. Natürlich machte sich Leah Sorgen um ihren Bruder. Um unsere Zukunft. Erleichtert atmete ich aus.
„Nein, Leah, hör mir zu!“ Ich lachte kurz, eher vor Erleichterung und jetzt war es Leah, die mich verwirrt anschaute.
„Ich werde nicht nach Washington zurückgehen. Ich bleibe hier. Carlisle hat mir ein Angebot gemacht. Seth weiß noch nichts von meiner Entscheidung, also bitte sag’s ihm noch nicht. Ich werde bei euch bleiben, zusammen mit meiner Familie.“
Leahs verwirrte Miene wandelte sich wieder zu einem Lächeln.
„Oh Gott, Amy, danke! Ich hatte schon solche Panik! Wirklich, du bist die Beste!“ Behutsam legte sie ihre Arme um mich, bedacht nichts vom Tablett zu schmeißen.
„Ihr zieht also um?“
Ich nickte. Natürlich würde ich viel mehr gewinnen als verlieren, doch es schmerzte an meine Freunde in D.C. zu denken, die ich jetzt schon furchtbar vermisste. Aber ich wusste, dass ich hier unentbehrlicher war. Seth brauchte mich zum Leben, so wie ich ihn. Natürlich war es die richtige Entscheidung.
Leah schien zu merken, dass ich nicht genauer darauf eingehen wollte und nahm mir das Tablett aus der Hand.
„Ich würde mich beeilen. Die anderen sind schon auf dem Weg hierher.“
Und so ließ sie mich allein in dem vertäfelten Flur zurück. Ich drehte mich um und hastete in ihr Zimmer, wo meine Sachen auf dem Boden lagen, nahm Jogginghose und meinen grauen Kapuzenpullover vom Boden und lief zurück ins Bad.
Ich zog mich um und als ich meine Zähne putzte, hörte ich es an der Tür klingeln.
Ich war schon beim Haare kämmen, als die vielen Stimmen und Fußpaare die Badezimmertür passierten. Schnell schlüpfte ich in den Flur.
Die beiden letzten, Quil und Embry, gingen gerade durch Seths Tür.
Quil sah mich und lächelte mir zu. „Morgen, Amy“, sagte er.
„Hey.“ Dann war er in Seths Zimmer verschwunden.
Unschlüssig stand ich im Flur, überlegte, ob ich mitten in die Meute der Wölfe gehen sollte, oder nicht.
Dann hörte ich Stimmen aus dem Wohnzimmer.
Zwei von ihnen kannte ich. Eine nicht.
„Es geht ihm besser?“, fragte Emily.
„Auf jeden Fall“, sagte Leah. „Der – Dr. Cullen hat gute Arbeit geleistet. Wenn er jetzt noch ein paar Tage liegen bleibt, dann wird das schon.“
„Ich bin so froh, dass ihm nichts Schlimmeres passiert ist!“ Die Unbekannte klang erleichtert und trotzdem aufgedreht und angespannt.
„Das sind wir alle“, sagte Leah seltsam kühl, fast schon arrogant.
„Darf ich zu ihm?“
„Jetzt lass erst mal die Männer in Ruhe mit ihm sprechen, Schätzchen. Du kannst nachher rein.“ Auch Emily klang ein bisschen genervt und angespannt.
Jemand seufzte.
Ohne wirklich zu wissen, was ich tat, war ich den Flur hinuntergegangen und stand hinter der Ecke zum Wohnzimmer.
„Wollt ihr was trinken?“, fragte Leah gleichgültig und jemand stand vom Sofa auf.
Ich machte einen Schritt zurück und trat auf eine knarrende Diele.
„Was-?“, begann jemand, dann stand Leah im Eingang zum Flur und auf ihrem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus.
„Hey Amy.“ Ihre Stimme war viel freundlicher als ein paar Augenblicke zuvor.
„Hi.“ Ich blieb im Flur stehen. Im Wohnzimmer raschelte etwas.
„Komm, setzt dich zu uns.“
„Ich … wollte eigentlich …“ Ich blickte über meine Schulter. Die Vorahnung, wer die Fremde war, war zu groß, als dass ich es einfach riskieren konnte, ins Wohnzimmer zu gehen. Ich wusste, es war kindisch, und früher oder später musste ich sie sowieso treffen. Mir war später lieber.
„Ach komm! Die haben noch tausend Sachen zu besprechen.“
Ich warf Leah einen gequälten Blick zu, doch sie ließ mir keine andere Wahl. Jetzt war es sowieso zu spät. Ich atmete tief ein und trat langsam um die Ecke ins Wohnzimmer.
Emily saß auf der Couch und warf mir einen vorsichtigen Blick zu, halb aufmunternd, halb entschuldigend.
Neben ihr saß ein verwirrt schauendes Mädchen in meinem Alter mit langen, glatten braunen Haaren und schlanker Figur. Sie war hübsch, ohne Zweifel.
In meinen Augen sogar hübscher als ich.
Augen … ihre hatten etwas überlegenes, beinah arrogantes, das trotz der Irritation deutlich hervorstach.
Ihrem Blick nach zu urteilen hatte niemand in ihrer Gegenwart ein Wort über mich verloren.
„Guten Morgen, Amy.“ Emilys Stimme hörte sich an, wie ihre Miene aussah, auch wenn sie jetzt zaghaft lächelte.
„Morgen.“ Ich wendete den Blick nicht von Valeria ab. Sie ebenso wenig, auch wenn es sie noch mehr zu verwirren schien, dass ihre Cousine wusste, wer ich war.
Sie trug einen roten Pullover und weiße Shorts, die ihre braungebrannten Beine noch mehr betonten.
Leah legte ihre warmen Finger behutsam auf meine Schultern und führte mich zum Sofa.
„Valeria“, sagte sie, „Das ist Amy. Amy, Valeria.“
„Hey.“
„Hi.“ Sie klang unsicher, wusste immer noch nicht, was los war.
Leah setzte sich neben mich auf die Couch und beobachtete Valeria und mich.
Nach einem Moment der Stille erbarmte sich Emily schließlich, ihre Cousine aufzuklären.
„Valeria, Amy ist Seths … Freundin“, sagte sie behutsam.
Ich hielt die Luft an und wartete auf ihre Reaktion.
Valeria schaute von ihrer Cousine zu mir, ihr Gesicht ein Spiegel unzähliger Emotionen. Noch mehr Verwirrung. Ungläubigkeit. Verletztheit. Wut. Und schließlich eine Maske vollkommener Coolness.
Ich zweifelte nicht daran, dass sie die Drama Queen ihrer High School war.
Sie schürzte ihre Lippen, dann setzte sie ein falsches Lächeln auf.
„Freut mich, dich kennen zu lernen.“
Als ich sie so sah, wusste ich, dass ich Seth vertrauen konnte. Dass er die ganze Zeit Recht hatte. Dass er wirklich nichts von ihr wollte.
Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er Falschheit hasste. Valerias Anblick erfüllte mich daher mit großer Befriedigung.
„Du brauchst mir nichts vorzumachen“, sagte ich, selbstsicherer und lässiger, als ich es mir jemandem wie Valeria gegenüber je zugetraut hätte. Sonst schüchterten Leute wie sie mich immer ein.
„Ich weiß, dass dir das wahrscheinlich nicht gefällt, aber Seth liebt mich und daran wirst du nie etwas ändern können. Du hast uns nur stärker gemacht. Ich werde ihn nie wieder verlassen, also mach dir keine Hoffnungen.“
Sie starrte mich mit weit aufgerissenen Augen und bleichem Teint an. Und sie war sowohl wütend, also auch entsetzt.
„Komm, Amy“, sagte Leah lächelnd. „Wollt ihr auch was trinken?“
Valeria starrte mich nur weiter an, also nahm ich an, dass ich Recht gehabt hatte. Sie war eines dieser Mädchen, wahrscheinlich Cheerleaderin, denen nie jemand widersprach und die von allen zuerst nach ihrer Meinung gefragt wurden. Sie war es nicht gewöhnt, nicht das zu bekommen, was sie wollte, schien also obendrein noch verwöhnt zu sein.
Triumphierend lächelnd stand ich wieder vom Sofa auf und folgte Leah in die Küche, die gar nicht erst auf eine Antwort gewartet hatte. Im Wohnzimmer blieb es ruhig.
„Amy“, sagte Leah, „ich bin stolz auf dich! Du bist unglaublich!“ Sie lachte leise vor sich hin und nahm einen Karton Orangensaft aus dem Kühlschrank.
„Danke.“ Ich war immer noch verwundert, wie selbstsicher ich gewirkt haben musste.
Aber so war die Lage eben und Valeria musste Bescheid wissen. Sicher würde sie nie im Leben eine Chance bei Seth haben.
Mein Lächeln wurde noch breiter.
Niemand würde eine Chance bei Seth haben. Niemand außer mir. Und ich würde dieses Glück bestimmt nicht nochmal aufs Spiel setzten.
„Du magst sie nicht, oder?“, fragte ich Leah und nahm zwei Gläser aus dem Schrank.
„Nein. Ich konnte sie noch nie leiden. Schon als wir noch Kinder waren nicht. Sie hat mir immer meine Sandförmchen weggenommen.“ Sie lachte. „Aber nach dem, was gestern passiert ist …“
„Was ja eigentlich meine Schuld war …“
„Und Seths. Und Jareds. Und die von uns allen. Und Valerias. Sie hätte ja mal sagen können, dass sie kommt. Und Seth hätte dir von ihr erzählen müssen, egal wie wenig sie ihm bedeutet. Wir alle hätten dir von ihr erzählen müssen. Und Jared hätte nicht so einen Mist auf den AB labern dürfen.“
„Ist okay, Leah, ich versteh schon. Thema abgeharkt, okay?“
Sie warf mir ein mildes Lächeln zu. „Thema abgeharkt.“
Ich hatte mir eigentlich fest vorgenommen, diesen Tag aus meinem Leben zu verbannen. Den Mittelteil zumindest, indem ich meine große Liebe enttäuscht und verlassen hatten, indem ich beinahe alle Menschen umgebracht hätte, die mir so wichtig geworden waren, indem mehrere Herzen gebrochen waren.
Aber da Valeria das Schlüsselstück dieses Teils überhaupt war, konnte das jetzt schwer werden.
„Wie lange bleibt sie?“, fragte ich und nahm mir beiläufig noch ein Stückchen Brot aus dem Brotkorb. Das viele Essen färbte schrecklich ab. Wenn ich so weitermachte, war ich in fünf Jahren kugelrund.
„Den Rest des Sommers.“
Ich hielt inne und starrte Leah an, die sich weggedreht hatte.
„Den Rest … des Sommers?“
„Amy.“ Leah drehte sich wieder zu mir um. „Ich kann mir vorstellen, wie beschissen die Lage für dich sein muss. Ich find das ja schon schlimm. Aber hey! Es sind nur noch ein paar Wochen. Und außerdem hast du Seth.“
Ich hatte Seth. Klar.
Aber ich hatte auch ein Mädchen, das mich die ganze Zeit mit hasserfüllten Blicken anschauen würde. Dessen bloße Gegenwart die schlimmsten Erinnerungen meines Lebens zurückbrachte. Die meine Freunde für die nächsten Wochen belagern würde. Die scharf auf meinen Freund war.
Und sowas nannte man Ferien.
„Klar“, murmelte ich und legte das Brotstück, dass ich noch immer in der Hand hielt, wieder in den Brotkorb.
Im Flur öffnete sich eine Tür und ein buntes Stimmengewirr erfüllte die Luft.
Ohne zu zögern ließ ich Leah zurück und hastete in den Flur, wo ich von einem ganzen Rudel junger Männer begrüßt wurde. Sie machten mir alle bereitwillig Platz, ich erkannte Jacob, der dümmlich grinste und mich fragte, warum ich es denn so eilig hätte.
Ich ignorierte ihn und als ich die Tür erreichte war auch die fiebrige Hitze vorüber.
Ich öffnete sie und schloss sie wieder, so schnell es ging.
„Amy.“ Mein Herz begann zu rasen, wie immer.
Seth setzte sie auf und schaltete den Fernseher aus.
„Das versteht ihr also unter einer Ratssitzung“, sagte ich trocken und drehte mich zu ihm um, während er antwortete.
„Die Jungs wollten nur wissen, wer gestern Abend beim Eishockey gewonnen hat.“ Sein Lächeln erstarb, als ich ihm in die Augen sah.
„Was ist los, Amy?“, fragte er wachsam.



Ich blickte ihn nur an. „Sie ist hier“, flüsterte ich und spürte, wie die Tränen in mir aufstiegen.
Sein Blick wurde immer besorgter.
„Amy“, sagte er einfühlsam, „was ist passiert?“
„Valeria“, flüsterte ich und spürte die heißen Tränen auf meinen Wangen.
„Was ist mit ihr?“ Er klang noch immer ruhig, doch unter seiner Oberfläche musste es brodeln.
„Sie ist hier“, wiederholte ich und blickte auf die Holzdielen.
Einen Atemzug lang war es ruhig.
„Was?“ Er war ebenfalls nicht sehr begeistert.
„Sie sitzt im Wohnzimmer.“
Ich hörte Seth schnauben und blickte wieder auf. Meine stillen Tränen liefen immer weiter, ohne, dass ich einen Weg sah, sie aufzuhalten.
Seth atmete noch einmal tief durch und blickte vom Fenster zurück zu mir. „Komm her“, sagte er und klang wieder ruhiger.
Ohne nachzudenken durchquerte ich das Zimmer, setzte mich neben ihn und schaute ihn an. Ich musste ziemlich fertig aussehen. Passierte in den letzten Tagen häufiger.
Doch Seth lächelte mir sanft zu und wischte mir mit seinen großen, aber doch so behutsamen Fingern die Tränen vom Gesicht.
„Alles okay?“
Ich nickte.
„Sie ist komplett egal, verstanden? Wir ziehen unser Ding durch, egal wer oder was kommen mag.“
Ich nickte wieder und versuchte zu lächeln. „Ich hab es dir versprochen.“
Meine Stimme war brüchig, aber Seths Lächeln wurde breiter.
„Ich dir auch. Und genau deshalb haben wir gar keinen Grund uns aufzuregen. Valeria ist komplett egal.“
Stumm blickte ich auf die Decke.
Leise trommelte der Regen gegen das Fenster.
Seth durchbrach die Stille.
„Was will sie überhaupt hier?“
„Sie … wollte sehen, ob es dir gut geht. Alle waren hier, da wollte sie scheinbar auch mal schauen. Außerdem … war sie … ist sie ja auch … verliebt in dich.“ Ich schaute ihn nicht an, sondern kämpfte gegen weitere sinnlose Tränen – und dieses Mal gewann ich. Für den Moment jedenfalls.
Ich spürte, dass er leicht den Kopf schüttelte, verächtlich ausatmend.
„Ich hab ihr gesagt, dass sie das alles vergessen soll.“
„Was vergessen?“ Die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als ich zu ihm aufblickte.
„Dich? Ihr dummes Gerede? Ihre Falschheit? Sich zwischen uns zu drängen eben.“
Er schaute mich vollkommen perplex an. „Du hast mit ihr geredet?“
„Ähm … ja?“
„Und was hat sie dann gesagt?“
„Keine Ahnung.“ Ich lächelte ihn tapfer an. „Ich bin aufgestanden und in die Küche gegangen.“
Er lachte.
Auch ich lachte. Es tat unheimlich gut.
Seth nahm mich behutsam in seine Arme. „Ich liebe dich“, flüsterte er.
Ich schloss die Augen und sog seinen Geruch ein. Jedes Nervenende in meinem Körper stand unter Strom und mir war schwindelig.
„Ich liebe dich auch“, flüsterte ich zurück und vergrub mein Gesicht in seinem Sweatshirt.
Behutsam strich er mir übers Haar. Seine Wärme hüllte mich ein.
Nach ein paar Minuten musste er sich wieder hinlegen, also legte ich mich auf den Bauch neben ihn, den Kopf auf meine Hände gestützt.
„Was hälst du von ihr?“, fragte er schließlich.
In seinen Augen fand ich kein Zeichen, das einen weiteren Eifersuchtsanfall rechtfertigte. Er wollte nur meine Meinung hören.
„Ganz ehrlich?“, sagte ich und grinste. „Sie passt überhaupt nicht zu dir.“
Er lachte. „Warum nicht?“
„Naja. Sie ist verwöhnt, arrogant, überheblich und allem Anschein nach viel zu Falsch. Alles, was du überhaupt nicht an Menschen magst. Sie sieht aus wie eine richtige Drama-Queen.“
Seth lachte immer weiter und ich stimmte ein.
„Du hast mich vollkommen durchschaut“, sagte er. „Aber nichts gegen Drama-Queens. Meine Freundin ist auch eine!“ Er grinste mich spöttisch an.
„Wie bitte?!“, fragte ich empört.
Er nickte schnell und heftig mit dem Kopf. „Jaja. Sie hat auch so einen Hang zum Dramatischen.“
„Ich geb dir gleich dramatisch!“
Seth lachte. „Soll ich jetzt Angst haben?“
„Große Angst.“
Ich lehnte mich zu ihm hinüber und verlor mich in unserem Kuss.
Valeria war wie weggezaubert.

Das nächste was ich außer seiner Wärme und meinen Schmetterlingen im Bauch wahrnahm, war ein amüsiertes Räuspern hinter mir. Seth schien es nicht mitbekommen zu haben und ließ nicht von mir ab.
Das Räuspern wiederholte sich, lauter. Irgendjemand kicherte.
Widerwillig drehte ich meinen Kopf zur Seite.
Seth atmete heftig und ließ sich zurück in die Kissen sinken.
„Was ist los?“, fragte er mit rauer Stimme.
Ich erstarrte und lief rot an, als ich sie alle in der Tür stehen sah, dümmlich grinsend. Verlegen biss ich auf meine Unterlippe und legte mich ebenfalls hin.
„Verdammt“, flüsterte Seth, als er sie sah.
Alle anwesenden Wölfe plus Freundinnen verfielen in ein lautes, ausgelassenes Lachen.
Seth starrte sie wütend an, während ich mich einfach nur auf den Bauch drehte und darauf wartete, dass es vorbei war.
„Dir scheint’s ja schon wieder viel besser zu gehen, oder?“, fragte Jake und ich konnte mir sein verächtlich grinsendes Gesicht genau vorstellen.
Seth überging ihn. „Was wollt ihr hier? Warum habt ihr nicht geklopft?“
„Oh, das haben wir!“ Embry kicherte erneut los.
Ich kniff die Augen zusammen. Peinlicher konnte es ja wohl kaum noch kommen … Aber wenigstens war alles wieder beim Alten und alle Probleme schienen wieder vergessen. Allerdings würden die dummen Witze und Bemerkungen jetzt erst mal wieder nicht aufhören. Ich kannte meine Freunde.
Seth seufzte und wiederholte schon nicht mehr ganz so wütend seine Frage. „Und was wollt ihr jetzt alle hier?“
„Wir wollten eigentlich nur Bescheid sagen, dass wir verschwinden und heute Abend nochmal vorbeischauen“, sagte Sam. Selbst er klang seltsam erheitert.
„Und Dr. Cullen ist gekommen um nach dir zu sehen“, hörte ich Leah sagen.
Noch mehr Zuschauer, prima!
„Dann macht, dass ihr rauskommt!“ Erneut lachten sie, ich hörte, wie zwei Hände gegeneinander geschlagen wurden.
Als ich mich wieder umdrehte blickte Seth mich entschuldigend an.
„Sie sind so scheiße.“
„Ich weiß“, stimmte ich seufzend zu und blickte zur Tür.
Carlisle lächelte uns sanft zu. Bis auf Leah und Jared, die noch unschlüssig in der Tür standen, waren alle verschwunden.
„Tut das Bein noch weh?“, fragte Carlisle und kam auf uns zu, so als wäre nichts gewesen.
„Es ist auszuhalten“, sagte Seth und zuckte unter der Berührung der kalten Finger leicht zusammen.
Carlisle schob die Jogginghose leicht hoch und betastete vorsichtig das geschiente Bein. Als er es leicht anhob kniff Seth die Augen zusammen. Sanft legte er es wieder ab.
„Okay, das wird schon. Ich komme morgen nochmal vorbei. Bis jetzt sieht alles gut aus.“ Er lächelte uns zu und sagte dann zu Leah, dass er noch mindestens 30 Stunden still liegen bleiben und keinen Schritt machen solle.
„Ich werde mich bemühen.“ Leah lächelte zaghaft, auch wenn sie über seine Anwesenheit nicht sehr begeistert schien. „Vielen Dank, für alles.“
„Gern geschehen.“ Er lächelte erneut. „Wir sehen uns morgen!“
Als er durch die Tür ging, fiel mir plötzlich etwas ein.
„Carlisle! Warte!“ Ich sprang aufgeregt aus dem Bett und stolperte durch den Raum. Überrascht starrten mich alle an.
Ich schloss die Tür hinter mir und blickte in sein gespannt fragendes Gesicht. „Ich muss dich um etwas bitten.“
„Ich werde tun, was ich kann.“
Ich ging mit ihm den Flur hinab und trat auf die Veranda. Seth sollte es nicht mitbekommen.
Leicht nervös von der großen Tragweite meiner Bitte wusste ich nicht genau, wie ich anfangen sollte.
„Worum geht es, Amy?“, fragte er freundlich.
Ein Blick in sein makellos jugendhaftes Gesicht und seine karamellfarbenen Augen und ich machte mir keine Sorgen mehr über irgendwelche Folgen.
„Es geht um das Angebot, dass Edward Seth gemacht hat. Ich nehme an, du weißt Bescheid?“
Er nickte.
„Also, wenn es dir wirklich nicht zu viel ausmacht, würde ich gerne darauf eingehen. Ich …“ Mit glühenden Wangen blickte ich über die Bucht. „Ich kann hier einfach nicht weg. Jetzt noch weniger. Wir würden das beide nicht überstehen.“
„Ich verstehe“, sagte er mitfühlend. „Und du bist dir im Klaren, was das für deine Familie bedeutet?“
„Ja, aber sie werden das schaffen. Die Familie meines Onkels wohnt schließlich auch noch hier und sie haben gute Freunde von früher. Sie haben sowieso schon mal über diesen Umzug nachgedacht. Das wird schon.“
Noch ein prüfender Blick, dann nickte er erneut. „Okay. Dann bräuchte ich jetzt noch eure Adresse.“
Ich atmete tief durch. „Kein Problem. Aber kein Wort zu niemandem! Wenn Seth es nicht von mir erfährt, dann gibt’s gewaltigen Ärger!“
Carlisle lachte sein klares Lachen. „Kein Problem, ich kann schweigen wie ein Grab.“
„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie dankbar ich dir bin.“

Als ich wieder in Seths Zimmer kam, schaute er fragend zu mir, doch ich grinste ihn nur an.
Meine Entscheidung war getroffen.
Er. Für immer.
Jared saß auf dem Stuhl neben Seths Bett und blickte nervös zu mir.
Noch immer grinsend kletterte ich wieder auf das Bett und setzte mich im Schneidersitz hin, sodass ich beide ansehen konnte.
„Was gibt’s, Jared?“, fragte ich munter.
Er schluckte, wirkte bedrückt.
„Ich hab’s Seth eben schon gesagt. Ich …“ Er blickte von Seth zu mir und dann auf die Bettdecke zwischen uns. „Wegen gestern. Ich wollte mich für die Scheiße entschuldigen, die ich gebaut habe. Ich wollte das wirklich nicht. Es tut mir schrecklich leid, was ich gesagt habe, aber ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen.“
Zerknirscht und unsicher – so wie ich ihn noch nie gesehen hatte – blickte er mich wieder an.
Begleitet von einem leichten Ziehen in meiner Brust und etwas Übelkeit kamen die Erinnerungen wieder hoch, doch ich wusste, dass alles in Ordnung war. Es war Geschichte, vorbei.
Jared hatte ich sowieso schon alles verziehen.
Ich kämpfte gegen die Erinnerungen und lächelte ihn zaghaft an.
„Ich bin dir nicht böse, Jared, echt nicht. Aber wenn’s für dich in Ordnung ist, würde ich lieber so tun, als wäre das alles nicht passiert.“
Erleichtert atmete er aus und stand auf. „Danke! Tausenddank!“
Er schloss mich wie ein Bruder in seine warmen Arme. „Seth meinte das auch schon, aber … Oh Gott, ich bin so froh!“
Seth kicherte leise.
„Danke Leute! Ich seid echt die allerbesten!“
Auch ich lachte, als Jared befreit zur Tür ging.
„Wir sehen uns später dann“, sagte er gut gelaunt und verschwand in den Flur.
Als die Tür wieder geschlossen war, schaute Seth mich fragend an.
„Was ist?“
„Was war das eben, Amy?“, fragte er.
„Ähm … Jared, der sich entschuldigen wollte. War das etwa nicht in Ordnung, was …“
„Nein, nein, nein, nein, nein!“, unterbrach er mich. „Mit Jared ist alles geklärt. Ich meinte Carlisle.“
„Ach so!“ Ich überlegte kurz. „Es ging nur darum, wie lange es noch dauert, bis du wieder auf den Beinen bist.“
Mein überzeugendes Grinsen schien ihm das Misstrauen zu nehmen.
„Ahh.“ Klar, er hatte die Wahrheit vermutet. Es war schwer, die Lüge aufrecht zu erhalten, aber ich wollte ihn überraschen. „Und? Was meint er?“
„Vielleicht können wir am Wochenende schon wieder rausgehen.“ Ich grinste ihn liebevoll an und verlor mich zum tausendsten Mal in seinem Blick.

Den Rest des Tages verbrachten wir im Bett, schauten Filme, unterhielten uns und genossen die Momente zu zweit.
Immer wieder bekamen wir Besuch von den Jungs und ihren Freundinnen, von besorgten Freunden aus La Push und auch von den Cullens.
Edward war ziemlich besorgt um seinen Freund, aber Alice war der Meinung, alles würde wieder gut werden, auch, wenn sie uns nicht sehen konnte.
Wir alle waren ihr unglaublich dankbar für ihren Anruf am vorherigen Tag, doch sie tat es als Selbstverständlichkeit ab.
„Wir sind euch schließlich auch immer noch zu Dank verpflichtet wegen letztem Winter. Außerdem tun Freunde sowas. Ich will doch nicht, dass euch was passiert!“, sagte sie lächelnd und trieb mir wieder die Tränen in die Augen.
Alice war so ein herzensguter Mensch. Vampir. Nur ihr war es zu verdanken, dass ich hier neben Seth lag und nicht irgendwo im Wald zerfleischt worden war. Ich würde ihr das niemals vergessen.
Auch andere Besucher brachten mich zum weinen. So zum Beispiel Emily und Sam die am Abend nochmal reinschauten, um sich zu vergewissern, dass es uns gut ging.
Alle waren so furchtbar süß zu uns und ihre Liebe rührte mich wirklich unglaublich. Sie waren die besten Menschen, die ich je getroffen hatte und es fiel mir schwer zu glauben, dass es noch bessere gab.
Auch meine Mum rief an. Leah brachte mir mein klingelndes Handy kurz vor Mittag.
„Mum!“
„Oh Gott, Schatz! Ist alles in Ordnung? Geht’s dir gut? Geht es Seth gut? Deine Tante hat mir von dem Unfall erzählt! Seid ihr verletzt?“
„Alles in Ordnung, Mum!“ Ich lächelte über ihre Panik und strich Seth über die Wange. „Uns geht’s gut. Seth liegt im Bett und ruht sich aus. Reg dich bitte nicht auf.“
Natürlich hatte ich meiner Mutter von meinem neuen Freunden und meinem Freund erzählen müssen. Anfangs dachte sie, es wäre nur eine Urlaubsbekanntschaft, aber meine Tante musste sie so mit Informationen gefüttert haben, dass sie anfing, die Dauerhaftigkeit und Tiefe unserer Beziehung zu verstehen. Redete ich mir jedenfalls ein.
Ganz zufrieden mit meinen Beruhigungsversuchen war sie allerdings nicht. „Soll ich kommen? Dein Vater kann den Flug …“
„Nein, Mum!“, unterbrach ich sie. „Du brauchst nicht zu kommen, ehrlich! Mir geht’s wirklich gut, ich hatte Glück. Der Arzt hat auch gesagt, dass alles in Ordnung ist. Mach dir bitte keine Sorgen!“
Sie hatte ja keine Ahnung, dass sie noch früh genug rüber geflogen kommen würde.
Die nächste halbe Stunde verbrachte ich damit, ihr den angeblichen Unfall in allen Details zu beschreiben, was gar nicht so einfach war, weil Seth mich die ganze Zeit mit seinem skeptischen Grinsen anschaute.
Doch schließlich war sie ruhig und davon überzeugt, dass ein Flug an die Westküste momentan total unnötig war.

Als ich in der Nacht auf Leahs Couch lag, wäre ich am allerliebsten wieder aufgestanden und hätte mich in ein anderes, wärmeres Bett gelegt. Ich war mir fast sicher, dass es ihm auf der anderen Seite des Flures nicht anders ging.
Seufzend drehte ich mich auf die Seite und versuchte zu schlafen. Leah war schon vor über einer Stunde eingeschlafen.

Am nächsten Morgen war es viel zu hell. Als ich die Augen aufschlug, kniff ich sie sofort wieder zusammen und stöhnte. Es war viel heller als es sein sollte.
Verschlafen drehte ich mich um und vergrub mein Gesicht in der Decke. Die letzte Nacht war der blanke Horror gewesen.
Erst gab es zu viel zum Nachdenken, sodass ich nicht einschlafen konnte, und als ich dann endlich mal eingeschlafen war, kamen die Albträume von mörderischen Wanderern, sodass an Schlaf nicht mehr zu denken war. Erst am frühen Morgen musste ich erschöpft in einen traumlosen Schlaf gesunken sein.
Erneut öffnete ich die Augen, dieses Mal langsamer.
Es war definitiv zu hell um meine gewohnte Aufstehenszeit zu sein.
Ein Blick auf Leahs Wecker bestätigte mir, dass ich ziemlich verschlafen hatte. Halb zwölf war schon sehr spät für mich.
Hastig sprang ich aus dem Bett, schlüpfte in die Sachen vom Vortag und hastete ohne einen Blick in den Spiegel in den Flur.
Ohne noch einen weiteren Augenblick zu warten, – oder auch nur daran zu denken – öffnete ich Seths Tür und trat ein.
Als ich sie sah, blieb ich erstarrt stehen.
Wut erfüllte mich, als sie sich zu mir umdrehte.
Doch Valerias Blick war nur traurig und entschuldigend.
„Amy“, begann sie, aber ich schüttelte nur den Kopf. Ich wollte keine Entschuldigungen von ihr hören. Ich wollte nur, dass sie uns in Ruhe ließ.
Seth schaute mich besorgt an. „Amy, sie wollte sich entschuldigen“, sagte er beruhigend, doch in seinem Blick lag noch etwas anderes. „Alles okay?“
Ich schaute von dem Gesicht, dem ich komplett vertraute, zu dem, dem ich komplett misstraute, schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief durch.
Als ich die Augen wieder öffnete, hatten die beiden sich keinen Zentimeter bewegt, schauten mich immer noch an. Jeder auf seine Art.
Ich richtete meinen Blick auf Seth, kletterte auf sein Bett und küsste ihn auf die Stirn.
„Alles okay?“, fragte er nochmal.
Ich nickte, war mir nicht sicher, ob ich sprechen konnte.
Dann drehte ich mich langsam in seinen Armen, sodass ich Valeria sehen konnte. Bereit mit ihr zu reden war ich sowieso nicht. Niemals.
Anstatt etwas zu sagen, schwieg ich weiter, ließ sie ihre Anliegen vorbringen.
„Amy“, sagte sie erneut und mir fiel auf, dass sie weitaus aufrichtiger wirkte als am Vortag. „Es tut mir ehrlich leid, was passiert ist. Emily hat mir alles erzählt.“ Sie stockte und blickte mit dem Anflug eines Lächelns, das ich nicht deuten konnte, von mir zu Seth. „Wirklich, ich hätte mit allem gerechnet, aber das …“, sie blickte wieder zu mir, „hätte ich niemals erwartet. Meine Cousine umgeben von Wolfsmenschen, der ganze Ort total verrückt, verzaubert, und mittendrin Menschen, die ihre wahre Liebe gefunden haben.“ Valeria seufzte. „Sowas von kitschig.“
Meine Augen wurden zu Schlitzen, Seths Griff ein wenig fester, doch Valeria lachte nur.
„Leute, ehrlich. Macht euch keine Sorgen, ich hab’s kapiert.“ Sie seufzte nochmal und schaute mir dann in die Augen. „Amy, bitte. Ich weiß, dass du mich dafür hasst, was passiert ist, aber wenn man es genau betrachtet, hab ich doch überhaupt nichts verbrochen. Denk von mir, was du willst. Es tut mir leid für euch, was da abgelaufen ist, aber ich will, dass du eins weißt: Seth gehört dir und ich werde mich da bestimmt nicht nochmal einmischen. Ich will, dass du mir nur dieses eine Mal glaubst. Er gehört dir, das hab ich begriffen. Nichts soll euch trennen können. Pass gut auf ihn auf und lass ihn nie wieder gehen, verstanden?“
„Niemals.“
Valeria lächelte mir zu. Es tut mir wirklich leid, dass ich solche Missverständnisse verursacht habe.“
Ich misstraute ihr, doch dieses eine Mal wollte ich ihren Worten wirklich Glauben schenken.
Als die Still weiter anhielt, sprach sie weiter, dieses Mal zu Seth.
„Hör zu, es tut mir leid, was da letztes Frühjahr abgelaufen ist. Ich wollte in keinster Weise …“ Sie brach ab. Ich konnte Seths Gesicht nicht sehen, doch sein Körper war angespannt. Valerias Lächeln war verschwunden. „Es tut mir leid“, sagte sie, stand auf und lief aus dem Zimmer.
Als die Tür zugeknallt war, drehte ich mich um.
Seths Blick wirkte wütend und entfernt.
„Sie hat Schuld“, flüsterte er, schaute mich aber nicht an, sondern starrte vor sich hin. „Sie ist so eine Lügnerin. Letzten Sommer war es Embry, im Frühling war ich es. Ich will nicht wissen, mit wie vielen Typen diese Schlampe in Oklahoma rummacht.“
„Seth!“
Erschrocken blickte er mich an. „Was? Ist doch so! Sie baggert jeden Typen an und glaubt, sie kriegt alle rum.“
„Seth.“ Er kannte meinen anklagenden Tonfall.
Er schloss die Augen und atmete tief durch, bevor er sie wieder aufschlug.
Schuldbewusst schaute er mich an. „Es ist komplett egal, richtig?“ Ich nickte langsam. „Sie regt mich eben auf. Alles, was sie sagt … Ich weiß nicht, wie ihre Eltern das aushalten. Wenn meine Tochter so ein Flittchen wäre …“
„Seth!“ Ich musste lachen.
„Was?“
„Ist dir eigentlich klar, dass du noch nie so über jemanden geredet hast? Du hast noch nie alle positiven Seiten ausgelassen und über jemanden abgelästert!“
„Sie hat keine guten Seiten“, sagte er trocken. „Außerdem hat sie dir wehgetan und uns auseinandergebracht.“ Er lächelte. „Wenn auch nur für kurze Zeit.“
„Aber wie sie selbst gesagt hat, sie hatte doch aktiv gar nichts damit zu tun.“
„Willst du sie jetzt in Schutz nehmen?“
Ich lachte. „Nein.“
„Siehst du.“ Er strich mir die ungekämmten Haare aus dem Gesicht. „Außerdem hat sie Schuld. Hätte sie sich im Frühling nicht an mich rangemacht und allen erzählt, wir wären ein Paar, hätte Jared auch nicht so einen Mist am Telefon erzählt und wir könnten jetzt am Strand liegen.“ Er lächelte verträumt.
Mein Blick wanderte auf die Bettdecke. „Hast du …“
„Was hab ich?“, fragte er sanft und ließ seinen Daumen über meine Wange streichen.
„Hast du sie … geküsst?“ Es war kindisch und absurd, aber ich musste es einfach wissen.
Wider meinem Erwarten lachte er nicht, sondern klang noch immer sanft als er antwortete. „Nein, habe ich nicht.“ Ich atmete tief durch. „Ich habe ihr jeden Tag gesagt, sie solle mich in Ruhe lassen, aber sie gab nicht auf. Sie hat es versucht“, behutsam hob er mein Gesicht und zwang mich, ihn anzusehen, „aber nicht geschafft. Wenn ich ehrlich bin, warst du sogar die Erste. Und du wirst für immer die Einzige bleiben.“
Ich ließ meinen Kopf gegen seine Schulter sinken und atmete erneut tief durch. „Ich liebe dich und verspreche, dass du auch der Erste und Einzige bist. Für immer.“
„Danke“, flüsterte er und küsste mich aufs Haar.
„Sag mal“, begann er schmunzelnd, „wie kommt es eigentlich, dass du jetzt erst hier bist? Du hast den halben Tag verpennt.“
„‘Tschuldigung“, nuschelte ich an seiner Brust, „ich habe verschlafen. Hab ich wen verpasst?“
„Nur Carlisle, Edward, Bella, Nessie, Claire, Jake und Quil. Und Rachel.“ Er lachte und strich mir über den Rücken. Die Wärme seiner Fingerspitzen ging direkt in meine Wirbelsäule über. „Hast du schlecht geschlafen?“
„Ganz schlecht.“ Ich vergrub mich noch tiefer in seinem Sweatshirt. „Ich hab dich vermisst.“
Ich spürte sein Lächeln. „Ich habe dich auch vermisst, Amy. Manchmal sind selbst sechs Meter zu viel.“ Seth lachte leise in mein Haar.
Ich seufzte tief. „Oh ja.“

Als meine Mutter am Samstagmorgen anrief, war es kurz vor halb acht. Die Nacht war nicht viel angenehmer gewesen als die vorherigen, und sie hatte mich wachgeklingelt, aber ich war nicht sauer. Mir ging es blendend, weil Seth schon langsam anfing, durch die Wohnung zu humpeln. Lieber wurde ich früh aus dem Bett geklingelt, als den halben Tag zu verschlafen.
„Mum“, sagte ich noch verschlafen als Begrüßung. „Was ist los?“
Neben mir drehte Leah sich müde auf die Seite, stöhnte, als sie auf den Wecker sah, und vergrub sich unter der Bettdecke.
„Oh, Amy, tut mir leid! Verdammt! Ich vergesse immer die Zeitverschiebung. Soll ich später nochmal anrufen?“
„Nein, nein, nein.“ Ich gähnte, quälte mich hoch und ging leise in die Küche. „Was ist passiert?“
Ihre Stimme wurde ernst und besorgt, hatte einen nervösen Unterton. Sie hatte keine Ahnung, dass ich wusste, was los war.
„Amelia, wir müssen reden.“
Wie würdest du reagieren, wenn du keine Ahnung hättest, überlegte ich in Sekundenschnelle. „Mum?“ Ich versuchte verängstigt zu klingen. „Geht es Dad und Tyler gut?“ So verwirrt wie möglich tun.
„Was?“ Das warf sie komplett aus der Bahn. „Natürlich geht es ihnen gut!“ Dann schien es Klick zu machen und sie wurde einfühlsamer. „Nein, Schatz. Uns geht es allen gut. Aber wir haben Neuigkeiten.“
Ich blieb stumm, während sie versuchte, die richtigen Worte zu finden.
„Dein Vater … Heute kam ein Anruf und … Wir werden …“
„Was ist passiert, Mum?“ Ich versuchte ungeduldig zu klingen. „Jetzt sag schon!“
„Er wurde versetzt.“
1… 2… 3 … „WAS? Heißt das …? NEIN! Nein, Mum, nein! Sag mir, dass das nicht wahr ist! Wir müssen nicht -“
„Schhhh. Schatz, ganz ruhig, ganz ruhig. Alles wird gut.“
„Wir werden nicht aus D.C. wegziehen!“
„Amy, hör mir zu.“ Sie war noch immer einfühlsam. Meine Vorstellung schien sie zu überzeugen. „Wir müssen. Entweder dein Vater geht – und das bestimmt nicht ohne uns -, oder er verliert seinen Job. Und es ist sogar eine Art Beförderung!“
„Nein! Das könnt ihr nicht machen! Nicole und Hannah! Und die High School! Mum, das ist nicht euer Ernst!“ Noch ein bisschen so klingen, als wäre man den Tränen nah.
„Doch, es ist unser Ernst, Schatz.“
Ein kleines Schluchzen.
„Amy, hey! Willst du gar nicht wissen, wo wir hinziehen?“ Ich sah ihr aufmunterndes Lächeln genau vor mir.
„Nein!“, maulte ich. „Mum, ich will nicht wegziehen! Nirgendwohin. Nicht mal Los Angeles.“ Doch andere Städte hatten L.A. längst abgelöst, allen voran L.P. – La Push.
„Nicht mal Forks? Oder La Push?“ Wieder dieses Lächeln in ihrer Stimme. Am liebsten hätte ich ihr tausend Küsse gegeben, doch die Fassade durfte jetzt nicht bröckeln.
1… 2… „WAS?“, fragte ich entgeistert.
Dieses Mal lachte sie wirklich. „Dein Vater wurde nach Port Angeles versetzt.“
Ich schwieg.
„Er soll schon in zwei Wochen anfangen, also pünktlich zum Schulstart. Wir werden uns nach Häusern in Forks umsehen und solange bei Tante Leann wohnen, sofern sie einverstanden ist. Ich wollte erst mal dir Bescheid sagen.“
„Wie, um Himmels willen kommt es, dass Dad nach Port Angeles versetzt wurde? Das ist das andere Ende des Landes!“
„Ehrlich, Amy, ich habe keine Ahnung. Selbst dein Vater wusste es nicht. Vielleicht, weil er früher dort seine Ausbildung gemacht hat. Personalmangel? Ich weiß es nicht.“
Oder vielleicht ein Haufen guter Kontakte. Ich schmunzelte.
„Was meinst du? Ist Washington eine gute Alternative? Dann zieht die ganze Familie von Washington nach Washington.“ Sie verbarg es gut, aber ich hörte die Nervosität in ihrer Stimme. „Du wärst in der Nähe von deiner Cousine, könntest regelmäßig deine Tante besuchen …“
„Seth!“, platzte es aus mir heraus. „Oh Gott, ich kann bei ihm bleiben! Und bei Leah und allen anderen!“
Meine Mum seufzte. „Richtig. Du kannst bei Seth bleiben. Also bist du einverstanden?“
Ich atmete tief durch. „Ihr wollt das wirklich machen? Ich meine, was wird aus unserem Haus? Lydia? Und Dads Bowlingfreunden? Und Tyler?“
Sie seufzte erneut. „Ja. Wir haben lange darüber diskutiert. Aber es wird das Beste sein. Wir haben keine andere Wahl. Außerdem …“
„Ja?“
„Wir haben schon mal überlegt zurück nach Forks zu gehen. Damals, als du noch jünger warst, aber es lief gerade alles so gut für uns. Und jetzt kennst du auch schon ein paar Leute in der Gegend und wir haben auch noch alte Bekannte von Früher. Und Tyler wird es auch schaffen. Er hätte an der Junior High dieses Jahr sowieso neu anfangen müssen.“
„Wir ziehen also wirklich um? Nach Forks?“ Meine Stimme war durchzogen von Glück, dass ich nicht mehr verbergen konnte.
„Ja Schatz“, sie seufzte tief, „wir ziehen um. Das mit deinen Freunden wird schon. Sie dürfen gerne in den Ferien kommen, oder du nach D.C. . Wir schaffen das, mach dir keine Sorgen.“
„Wir schaffen das“, wiederholte ich ihre Worte. „Ich liebe dich, Mum.“
„Ich dich auch, mein Schatz. Gott, ich bin so froh, dass du einverstanden bist! Ich meld‘ mich nochmal und wir sehn uns in zwei Wochen!“
Dann war die Leitung unterbrochen und ich machte Freudensprünge durch die Küche der Clearwaters.
Als ich mich halbwegs ausgetobt hatte, ließ ich mich auf die Dielen sinken und vergrub mein Gesicht lachend zwischen meinen Knien.
„Alles in Ordnung?“, hörte ich jemanden fragen.
Als ich aufblickte, sah ich Sue im Morgenmantel im Türrahmen stehen.
„Alles ist perfekt“, sagte ich grinsend, stand auf und umarmte sie. In der Umarmung flüsterte ich der überraschten Sue „Ich bleibe“ ins Ohr, dann lief ich auf Zehnspitzen zurück in Leahs Zimmer.
Sie schien wieder eingeschlafen zu sein, aber es war mir egal.
Kichernd kletterte ich in ihr Bett. „Hey! Leah, mach mal Platz.“
„Geh weg“, murmelte sie in ihr Kissen. „Schlafen.“
„Ich geh bestimmt nicht weg, Leah“, sagte ich und zog ihr etwas Decke weg. Sie zuckte unter der Berührung meiner eisigen Beine zusammen. „Nicht für die nächsten Jahre.“
Es dauerte einen Moment, dann fuhr sie plötzlich herum und schaute mich mit ihrem vom Schlafen noch müden Gesicht und trotzdem weit aufgerissenen Augen an. „Was?“
Ich lachte. „Wir ziehen nach Forks. In zwei Wochen. Ich geh nicht nach D.C. zurück, Leah. Ich bleibe bei euch!“
Die Maske aus Müdigkeit und Überraschung verwandelte sich in ein breites Lächeln. Leah schloss mich in ihre Arme und lachte mit mir.
„Ich bekomme eine kleine Schwester“, sagte sie liebevoll neckend.
„Soweit sind wir lange noch nicht“, lachte ich leise.
„Du ziehst her, bleibst bei meinem Bruder“, flüsterte sie erklärend an meinem Ohr. „Irgendwann heiratet ihr dann und bekommt Kinder – oh, und ich werde Tante!“
Wir lachten beide immer weiter, während sie sich mein Leben ausmalte. Alles hörte sich so wunderbar an.
„Ich freu mich so für euch“, gestand sie immer noch grinsend.
„Danke.“
„Weiß er es schon?“
„Nein. Und wehe du sagst ein Wort! Ich dachte, heute Abend, wenn wir …“
„Du bist ein Genie!“, Leah lachte erneut, ihr Blick im Halbdunkeln nicht zu deuten.
„Danke“, wiederholte ich verlegen lachend.

Als wir mit dem humpelnden Seth zum Auto gingen, war es schon später Nachmittag. Er grinste vor sich hin, als er endlich wieder in das warme Sonnenlicht trat, das sich pünktlich hinter den Wolken hervor gekämpft hatte. Genau wie Alice gesagt hatte.
Alle liefen hektisch um uns herum, packten letzte Körbe in die Autos und suchten Mitfahrgelegenheiten. Das gleiche Chaos wie immer.
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, wenn du wieder in der Natur bist“, flüsterte er mir, gegen das Auto gelehnt zu. „Ich hab alles, was ich brauche.“ Sein Grinsen wurde noch breiter, heller und liebevoller. Ich strahlte zurück.
„Leute! Nicht flirten! Entweder ihr steigt jetzt ein, oder wir müssen ohne euch fahren!“
Jacob.
Seth warf ihm einen finsteren Blick zu.
„Jetzt macht halt, ich hab Hunger!“ Seth schüttelte nur den Kopf und drehte sich langsam um, während ich kichernd die Autotür öffnete. Er kletterte hinein und ich lief auf die andere Seite.
Kaum war die Tür zugeschlagen, startete Jake auch schon den Motor und folgte den anderen Autos.
Er plauderte mit Embry, der auf dem Beifahrersitz saß und ließ uns in Ruhe. Jedenfalls mit Bemerkungen.
Seine Blicke im Rückspiegel spürte ich trotzdem, doch es war mir ziemlich egal.
Seth lächelte mich an, spielte mit meinen Fingern und schaute ab und zu aus dem Fenster. Er hatte den Wald seit Tagen nicht betreten und würde ihn auch heute nur aus dem Auto sehen.
Nach einigen Minuten hatten wir unser Ziel bereits erreicht und es raubte mir den Atem. Alles war so überirdisch schön wie beim ersten Mal.
Die Wiese sah noch schöner aus, überall blühten Wildblumen in den verschiedensten Farben.
Die Berge wurden von der Sonne in ein diffuses, goldenes Licht getaucht, das Meer spiegelte den Himmel in tausend Facetten.
Dieser Ort hoch über den Klippen würde immer etwas magisches haben.
„So Leute, alle aussteigen!“ Jacob hatte Seths Tür geöffnet und half ihm hinaus. Schnell kletterte ich aus dem Wagen und nahm zwei der Körbe aus dem Kofferraum.
Die anderen hatten bereits angefangen, die Decken mitten auf der Wiese auszubreiten, rundherum um die Feuerstelle.
Es sah gemütlich aus und wirkte auch jetzt, wo die Sonne noch nicht untergegangen war, schon romantisch. Dass es ein wundervoller, besonderer Abend werden würde, stand jetzt schon fest.
Ich nahm die Körbe unter meinen rechten Arm und stützte Seth mit dem anderen.
Wirklich alle Anwesenden lächelten uns zu und freuten sich, dass ihr Bruder endlich wieder auf den Beinen war.
Emily lehnte sich grinsend über meine rechte Schulter und schielte auf die geflochtenen Körbe.
„Was bringst du uns schönes, Amylein?“
Ich überließ es Connor, seinen Wolfsbruder zu stützen und drehte mich zu Emily um. Ihr Anblick war mir in den letzten Wochen so vertraut geworden, dass ich ihre Narben kaum noch wirklich sah.
Ich hielt den ersten Korb hoch. „Einmal Sues geheimen Nudelsalat und die Barbecuesaucen“, ich wechselte die Hand um ihr den anderen zu zeigen, „und einmal Besteck für 15 Personen und Teller für 20.“
„Super. Kannst du das Besteck und die Teller zu Kim auf die Decken bringen und den Salat zu Jared an den Grill?“
„Kein Problem.“
„Okay, gut. Hilfst du mir danach bitte noch mit den Brötchen aus Jareds Auto?“
„Klar, ich komme sofort.“ Ich lächelte ihr zu.
„Danke, Amy.“ Und schon rauschte sie wieder davon.
Seth grinste mir zu. „Sie ist klasse.“
„Ja, sie ist ein Engel.“ Emily war so ein guter Mensch, immer so fürsorglich und jederzeit zur Stelle, wenn es ein Problem gab.
Damit überlas ich Seth dem Rudel und lief von Kim zu Jared und von Jared zu dessen Auto.
Emily stand über den Kofferraum gebeugt am Auto und schob Kisten hin und her. Als sie mich bemerkte, drehte sie sich um.
„Welche Kiste soll wohin?“, fragte ich motiviert.
„Die rote hier wieder an den Grill.“ Sie zeigte auf die Brötchenkiste, aber reichte sie mir nicht.
„Amy, ich …“ Für einen kurzen Moment hielt sie inne, bevor sie selbstbewusster weitersprach. „Ich weiß genau, dass du Valeria nicht magst und sie wahrscheinlich am liebsten gar nicht mehr sehen möchtest, aber wäre es sehr schlimm, wenn sie heute hier wäre? Ich meine, sie ist sowieso so selten hier und ansonsten muss sie den ganzen Abend allein verbringen. Ich weiß, dass sie nicht der Traum aller Mütter ist, aber so schlimm kann es ja nicht wirklich werde. Oder? Was meinst du?“
Wow. Das kam unerwartet. Während der letzten Woche hatte ich sie fast vergessen. Jetzt drehte sich alles. Heute Abend. Mein Umzugsgeständnis. Dieser magische Ort. Seth. Valeria?
Allerdings waren wir heute Abend so viele Leute und mit mir würde sie sowieso nicht reden wollen.
„Ich hätte sie wirklich gerne dabei, Amy. Bitte.“ Sie sah nervös aus und hatte etwas in ihren Abend, was mir unbekannt war. Etwas Unsicheres. Aufregung. Angst. Freude.
Die Unsicherheit der selbstsicheren Emily gab den letzten Ausschlag. Es schien ihr wirklich wichtig zu sein. „Von mir aus kann sie kommen.“
„Oh danke, Amy!“ Lächelnd reichte sie mir die Brötchenkiste und holte ihr Telefon aus ihrer Hosentasche.
Leicht verwirrt von Emilys Verhalten trug ich die Kiste zu Jared, der noch immer am Grill stand, schaute kurz bei Seth vorbei, der sich mit den Jungs über Baseball unterhielt und setzte mich dann zu Leah und Kim, die auf der Decke saßen und Servietten falteten.
„Valeria kommt“, sagte ich geradeheraus.
Leah warf mir einen qualvollen Blick zu. „Nein!“
„Doch. Emily hat mich eben gefragt, ob es okay wäre.“
„Und du hast ja gesagt?“ Leah wirkte so entsetzt, dass es schon fast wieder lustig war.
„Ich konnte es ihr nicht abschlagen. Sie sah so … unsicher und verletzlich aus.“ Ich runzelte die Stirn.
Leah ebenso. „Emily? Emily Uley? Unsicher?“
„Ja! Das hab ich mir auch gedacht! Ich hab keine Ahnung, was mit ihr los ist.“
„Seltsam“, sagte Kim. „Vorhin, als Jared und ich bei ihr und Sam waren, wegen der Bestellung, da war sie auch so komisch. Richtig nervös und aufgedreht.“
„Vielleicht ja wegen heute Abend“, schlug Leah vor, doch schien nicht wirklich daran zu glauben.
„Eher nicht. Nicht mal bei ihrer eigenen Hochzeit war sie so drauf“, meinte Kim.
„Naja, wir werden es schon noch rausfinden“, sagte Leah und grinste uns an. „Wann gibt’s Essen?“

Wie bei jedem Essen, waren unsere Männer hungrig wie Wölfe. Es war ja schon immer faszinierend, wie viel Seth alleine verputzte, aber alle zusammen? Unglaublich.
In der heißen Grillphase standen sie zu fünft am Grill – oder eher gesagt ‚den Grillen‘. Vier Stück standen neben einander – große natürlich – und alle voll beladen mit blutroten Steaks und bräunlich-rötlichen Würstchen.
Es roch himmlisch. Nach einem perfekten Sommerabend mit Freunden.
Wir saßen und lagen auch schon alle um das entfachte Feuer herum, redeten und lachten.
Seth hatte seine Beine ausgestreckt und ich lehnte gemütlich an seiner Seite. Alles war perfekt.
Selbst als Valeria kam und sich zu Emily auf die andere Seite des Feuers setzte, ging es mir blendend.
Als ich Seth gesagt hatte, dass sie kommen würde, war er zuerst ein bisschen wütend gewesen, hatte sich dann aber schnell wieder gefasst und mir dann seinen Plan für den Abend erläutert:
Valeria ignorieren.
Ganz simpel und effektiv. Wir zählen, nicht sie.
Also hielt er mich in seinen Armen, erzählte seinen Brüdern Geschichten und schaute nicht einmal in Valerias Richtung.
Ignorieren hatte er voll drauf.
Ich lächelte in mich hinein, drehte meinen Kopf und erstickte seine Worte über irgendwelche Hockeyspieler mit meinen Lippen. Er war erst überrumpelt von meinem spontanen Gefühlsausbruch, doch dann spürte ich ihn Lächeln. Die anderen waren sowas von egal. Wir zählen, nicht sie.
Natürlich mussten wir uns später noch einiges zu meiner Spontanaktion anhören, aber zum Glück hatte Claire nichts mitbekommen.
Die Sonne stand nur knapp oberhalb des Horizonts als Sam, Jared und Jacob endlich mit der ersten Runde Steaks und Würstchen ankamen. Die Platten waren leer, bevor sie auf den Decken standen und es begann ein buntes Durcheinander von Leuten, die nach Soßen fragten, Brötchen suchten und Salat herumreichten.
Alle redeten weiter, aßen, lachten und genossen die Gemeinschaft.

Einige Zeit später waren alle Schüsseln und Körbe leer und der Hunger unserer Wölfe gesättigt. Wir waren zum gemütlichen Teil des Abends übergegangen, erzählten Geschichten, lachten und hörten Jared zu, der neulich angefangen hatte, Gitarre zu spielen.
Die Sonne war schon untergegangen, aber der Himmel über dem Meer leuchtete immer noch feuerrot.
Seth stieß mich grinsend in die Seite und nickte zur anderen Seite des Feuers, wo Valeria den unbeholfen aussehenden Brady mit seinem hochroten Kopf auf die Beine zog und aus unserem Blickfeld weg zu den Autos führte. Ringsherum um das Feuer brachen unsere Freunde in Gelächter und Anspielungen aus.
Ich grinste zu Seth zurück, der irgendwas davon murmelte, dass sie ja jetzt ihr nächstes Opfer gefunden hätte. Armer Brady. Aber auch selbst schuld, dachte ich.
Als sich die Lage wieder beruhigt hatte, stand Sam auf und forderte unsere Aufmerksamkeit.
Er blickte zu Emily hinab und half ihr hoch.
„Wir haben euch etwas zu sagen.“ Sam versuchte ruhig zu bleiben, wie immer, doch er trug den gleichen Ausdruck in seinen Augen wie Emily zuvor.
Aber da war noch mehr. Sein Gesicht spiegelte Stolz wieder. Stolz, den ich von meinem Vater kannte, wenn Tyler ein Fußballspiel gewann oder er ohne Aufforderung das Haus geputzt hatte.
„Moment!“ Die jetzt total aufgedrehte Emily schaute ihren Mann an. „Valeria!“ Und dann lief sie los, in die Richtung, in die ihre Cousine verschwunden war.
Peinlich berührt und vollkommen nervös, so wie man Sam Uley noch nie gesehen hatte, stand er auf der anderen Seite des Feuers und starrte auf seine Hände.
Die beiden machten uns alles verrückt.
„Sam, was ist passiert?“, fragte Jacob, der mit Überraschungen häufiger so seine Probleme hatte.
Sam schaute erschrocken hoch.
„Nichts schlimmes, oder?“ , fragte Kim besorgt.
Sam lächelte. „Nein, nichts schlimmes.“
Und damit wanderte sein Blick zurück zu Emily, die mit gesenktem Kopf zurück kam, Brady und Valeria ebenso hinter ihr.
Vielleicht war es das Licht, aber es sah aus, als hätte Brady Lippenstift auf der Wange.
Hätten Sam und Emily uns nicht so auf die Folter gespannt, hätten die anderen beiden sicher noch einiges zu hören bekommen.
Sam atmete noch einmal tief durch. „Wir haben euch etwas zu sagen.“ Er strahlte seine Frau an und drückte ihre Hand.
Emily lächelte zurück, löste ihren Blick von Sam und ließ ihn über die Gemeinschaft schweifen.
„In der nächsten Zeit … werde ich wohl etwas kürzer treten müssen.“ Tränen stiegen ihr in die Augen, aber ihr Gesichtsausdruck war nicht zu deuten. Alle starrten sie unverwandt an, bevor sie ihre Botschaft verkündete.
„Ich bin schwanger.“
Und damit brach sie komplett in Tränen aus. Sie strahlte Sam an, dessen Stolz und Freude jetzt endlich komplett aus ihm herausbrachen. Auch in seinen Augen standen die Tränen.
Nach einer Sekunde sprangen alle auf, jubelten, wollten gratulieren und freuten sich mit den beiden.
Seth nahm mich in die Arme und humpelte mit mir auf die andere Seite zu den werdenden Eltern.
Alle umringten die beiden, gratulierten, stellten Fragen und strahlten mit. Das Rudel bekam Zuwachs. Welpen.
Seth schlug seinem früheren Alpha anerkennend auf die Schulter und ich fiel Emily um den Hals.
Es gab keine Worte für ihre Freude. Es machte uns alle so glücklich, dass diese beiden glücklich waren! Nach allem, was sie durchgemacht hatten, war es einfach nur gerecht.

Die nächste halbe Stunde verbrachten wir damit, Sam und Emily mit Fragen zu löchern und über Namen zu diskutieren.
Ob Junge oder Mädchen stand noch nicht fest und Emily wollte es auch nicht wissen. Geburtstermin sollte im Februar sein, also war noch allerhand Zeit für Namensvorschläge und Zimmereinrichtungen.

Nachdem sich die Aufregung über diese euphorisierende Überraschung, die sicherlich Gesprächsthema Nummer 1 der nächsten Wochen sein würde, etwas gelegt hatte, hatte ich mich wieder an Seth gekuschelte und genoss die wunderschöne Sommernacht.
Jetzt aber drehte ich mich in Seths Armen und zog mich aus seiner Umarmung zurück.
Meine Zeit war gekommen, das wusste ich. Mein Herz raste.
Seth zog seine Augenbraun hoch, grinste mich allerdings immer noch an. „Was ist los?“, fragte er.
„Komm mit“, war alles, was ich sagte, dann reichte ich ihm meine Hand und half ihm hoch.
Wir humpelten unter verwunderten Blicken zu den Klippen, ohne ein Wort der Erklärung.
Als ich mich umdrehte, sah ich allerdings, wie Leah sich zu Kim beugte und ihr etwas ins Ohr flüsterte, worauf sie die Augen aufriss und sie anstrahlte, bevor sie in unsere Richtung schaute.
„Was ist los, Amy?“, fragte er mich erneut von der Seite, grinste immer noch, als er unsere Richtung verfolgte, war aber ansonsten vollkommen ahnungslos.
Und ich schwieg weiter, während wir an den einen magischen Ort humpelten, um unter dem einen Baum zu sitzen, über das nun im Mondschein schimmernde Meer zu blicken und die Gewissheit zu teilen, dass wir niemals wieder getrennt sein mussten.
Seth grinste mich neugierig an, als wir unter dem Baum anhielten und ich ihm half, sich an den Stamm zu setzen, sodass er sich mit Blick auf den tiefschwarzen Ozean anlehnen konnte.
Die Stimmen der anderen waren hier nur noch ein leises Summen, das sich mit der Brandung unter uns vermischte.
Ich setzte mich auf das noch warme Gras neben ihn und lehnte mich an. Es roch nach ihm und nach Sommer.
Trotz der Wärme zitterte ich am ganzen Körper, als er seinen Arm um mich legte und mir sanft über den Rücken strich. Der Kloß in einem Hals schwoll an.
„Amy.“ Er schaute mir in die Augen, so wie er es immer tat. Er sprach meinen Namen mit so viel Liebe aus, wie er es jedes einzige Mal tat. Und der Klang sorgte bei mir jedes einzige Mal für Gänsehaut. „Was immer es ist, du kannst es mir sagen, das weißt du.“ Das Grinsen war Besorgtheit gewichen, doch als ich ihn mit Tränen in den Augen anlächelte, sah ich wieder dieses aufmunternde Lächeln, das wirklich jedem Mut machen musste, egal wie schlimm seine Lage war.
Ich holte tief Luft, nahm all meinen Mut zusammen und flüsterte.
„Wir ziehen um, Seth.“
Einen momentlang starrte er mich einfach nur perplex an, dann runzelte er seine Stirn. Scheinbar wusste er nicht, was ich ihm damit sagen wollte. Er schwankte zwischen Hoffnung und Trauer.
„Was? Wer? Wie, wohin?“
Seine Blindheit brachte mich zum Lachen, die Tränen flossen weiter.
„Wir, das ist meine Familie. Mum, Dad, Tyler und ich. Wir ziehen um.“ Ich strahlte ihn an. „Von Washington nach Washington.“
Wieder dauerte es einige Bruchteile von Sekunden, die sich wie Stunden anfühlten, doch dann begriff er.
Endlich.
„Nein!“, schrie Seth und fiel mir freudestrahlend um den Hals. „Amy, nein! Oh mein Gott!“ Er schaute mich an und schloss mich wieder in seine starken, warmen Arme. „Oh mein Gott! Oh mein Gott! Oh mein Gott!“
Er hielt mich einfach nur fest und atmete tief ein.
„Seit wann …? Wie ..?“
Meine Mundwinkel wanderten noch weiter nach oben. „Ich hab‘ mit Carlisle geredet. An dem Tag nach … du weißt schon. Er hat alles in die Wege geleitet und die Versetzung von meinem Vater organisiert. Mum hat heute Morgen angerufen, als du noch geschlafen hast.“
Ich schmiegte mich noch näher an ihn. „In zwei Wochen fängt mein Dad in Port Angeles an. Passend zum Schulstart.“ Seth küsste meinen Hals und brachte meine Konzentration total durcheinander. „Wir können zusammen zur Schule gehen, jeden Tag zusammen ein. Ich werde dich nie wieder verlassen müssen. Nie wieder in meinem ganzen Leben.“
Seth Lippen wanderten zu meinen und raubten wir den letzten klaren Gedanken.
„Nie wieder“, flüsterte er.

The End.

Zweite Chance

I don't mean to run
But every time you come around I feel
More alive, than ever
And I guess it's too much
But maybe we're too young and I don't even know what's real
But I know I've never
Wanted anything so bad
I've never wanted anyone so bad
- Adore * Paramore


-Seth-

Sie betrat den Raum mit gesenktem Kopf, schaute mich nicht an.
Ihre Haare, die wild und nass aussahen, verdeckten ihr Gesicht. An den Armen hatte sie Kratzer, ebenso an den Beinen. Ihre Knie waren aufgeschlagen und ihre Klamotten zerrissen.
Sie wirkte angespannt, doch ich fand es schwer, sie einzuschätzen.
„Hey! Ist alles in Ordnung bei dir?“
Sie lachte einmal kurz auf, hysterisch und verstört, warf ihren Kopf nach hinten und blickte zum Fenster.
„ Was-?“
„Verdammte Scheiße, nichts ist in Ordnung! Ich-“
Sie brach ab. Ich sah sie gegen die Tränen kämpfen, Mund und Augen zusammengekniffen.
Auch ich schloss die Augen, wollte sie nicht leiden sehen.
Ich hatte sie tiefer verletzt als ich geglaubt hatte.
„Es tut mir so leid, Amy.“ Meine Stimme war nur ein Wispern.
„Nein, es ist alles meine Schuld und es tut mir wahnsinnig leid, was passiert ist. Ich werde mir das wahrscheinlich nie verzeihen können.“ Sie stockte. „Vielleicht ist es doch besser, wenn ich jetzt gehe.“
„Nein!“ Ich rief es lauter als beabsichtigt. „Nein, bitte bleib! Bitte.“
Endlich drehte sie sich zu mir um. Ihr Gesicht war gezeichnet von Trauer und Angst. Sie hatte leichte Schürfwunden an der Stirn und auf den Wangen, war auch hier mit Schlamm verschmiert. Doch am auffälligsten waren ihre Augen. Diese Augen, die immer für mich geleuchtet hatten und die noch immer eine so riesige Macht über mich hatten. Sie waren rot und verweint. Noch immer glitzerten die Tränen in ihnen.
„Amy, bitte. Hör mir zu. Es tut mir alles so leid. Ich wollte nicht, dass so etwas passiert. Bitte geh jetzt nicht.“ Mit flehendem Blick schaute ich sie an. Ich spürte, dass auch mein Gesicht zu einer Maske verzogen war, die ihre Gefühle wiederspiegelte.
Trauer, weil so viel Schlimmes an einem Tag passiert war und ich sie enttäuscht hatte.
Angst, weil ich sie nicht verlieren wollte.
Sie senkte wieder den Blick, nahm sich meinen Schreibtischstuhl und zog ihn neben mein Bett. Schweigend setzte sie sich und blickte auf meinen Teppich.
Ich schaute sie eine Weile still an.
Irgendwann durchbrach Amy die unangenehme Stille, die uns zu zerdrücken drohte.
„Wie geht es deinem Bein?“, fragte sie wispernd.
„Carlisle hat es geschient und mir verboten es zu bewegen. Es war gebrochen und musste nochmal gebrochen werden, weil es schief zusammengewachsen wäre.“
Amy zuckte zusammen und ich dachte an den Schmerz, an meine Schreie.
„Es ist tierisch geschwollen, aber die Schmerzen sind zu ertragen. Vielleicht darf ich übermorgen schon wieder laufen.“
Ich lächelte ihr zu, doch Amy schien es nicht zu sehen. Sie nickte nur und schwieg wieder.
Nach ein paar weiteren Minuten hielt ich es nicht mehr aus,
„Okay Amy, was ist los? So kommen wir nicht weiter.“
„Wer ist Valeria?“
Angestrengt blickte ich auf das Muster meiner Bettdecke.
„Valeria. Wer ist sie?“ Ich hörte den Schmerz in ihrer Stimme und fühlte ihre Angst.
„Amy“, ich blickte wieder auf und sah, dass sie ihre Hände betrachtete. Behutsam streckte ich meine aus, nahm ihre in meine und schaute in ihre wundervollen Augen. Sie hielt den Blick gesenkt.
„Valeria ist Emilys Cousine. Sie lebt in Oklahoma, ich habe sie das letzte Mal auf Emilys Hochzeit gesehen. Bei ihrem letzten Besuch hier … nun ja, sie hatte sich ziemlich in mich verknallt und allen erzählt, dass wir zusammen wären. Hör zu …“
Ich sah die Tränen in ihren Augen. Ich wollte sie nicht sehen. Sie sollte nicht weinen, nicht schon wieder. Nicht wieder wegen mir.
Sanft hob ich ihr Kinn an, sodass sie mich ansehen musste. Dann erst sprach ich weiter.
„Ich habe nie etwas von ihr gewollte. Sie ging mir schon immer auf die Nerven. Ich weiß, ich hätte es dir erzählen müssen, aber ich hielt es für total nebensächlich, hatte es wieder verdrängt, überhaupt nichtmehr daran gedacht. Aber ich hätte auch nie geglaubt, dass sie hier einfach so auftaucht. Ohne Vorwarnung!“ Ich senkte meine Stimme. „Es tut mir leid. Unglaublich leid, Amy, und ich bete zu Gott, dass du mir verzeihen kannst. Ich weiß, ich habe dir damit sehr weh getan, wahrscheinlich noch mehr als ich mir vorstellen kann und vermutlich hätte ich es sogar verdient, wenn du mich nie wiedersehen wolltest. Aber du musst wissen, dass du die erste und einzige bist, die ich je geliebt habe und das auch für immer so bleiben wird. An meinen Gefühlen für dich hat sich nichts geändert und ich hoffe, du weißt das. Alles, was ich dir je gesagt habe war wahr. Ich habe dich nie belogen oder betrogen.“
Ich legte meine Hände wieder auf die Bettdecke und schloss die Augen. „Ich bin der größte Idiot der Welt.“
Amy schwieg und als ich die Augen wieder aufschlug sah ich, dass ihr wieder Tränen übers Gesicht liefen.
„Bitte, du darfst mich schlagen und mir das Bein nochmal brechen, aber bitte, bitte wein nicht! Ich ertrag das einfach nicht!“
Es tat so furchtbar weh ihr Kummer zu bereiten.
Doch Amy schüttelte nur den Kopf. Schloss die Augen und schüttelte den Kopf.
Sie hielt sich die Hände vors Gesicht und sprach mit zitternder Stimme.
„Ich bin die größte Idiotin der Welt. Was ich heute getan habe war unverzeihlich. Ich … ich hätte nie einfach so wegrennen und dich verurteilen dürfen. Es war einfach dumm. Es tut mir unheimlich leid. Ich hätte dir vertrauen müssen und nie so heftig reagieren dürfen. Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. Das mit deinem Bein tut mir so leid und auch, dass ich euch alle fast umgebracht hätte. Ich werde mir das nie verzeihen können. Ich hätte es verdient, wenn alle mich hassen würden. Dich trifft keine Schuld, ich bin die einzige Verantwortliche. Ich könnte es verstehen, wenn du mich nie wiedersehen willst.“ Am Ende war ihre Stimme nur noch ein Flüstern.
Sie nahm ihre Hände vom Gesicht und senkte ihren Blick auf meine Decke.
„Amy“, ich versuchte einfühlsam zu klingen. „Das wäre das letzte, was ich wollen würde. Wenn du mir zugehört hast, dann weißt du, dass ich das nicht überleben würde. Ich weiß, dass ich dein Vertrauen verspielt habe, aber ich flehe dich an: Bitte. Wir können das schaffen. Ich weiß es.“
„Seth, ich-“
„Amy.“ Meine Stimme war ein einziges Flehen, begleitet von Angst. „Bitte.“
„Ich vertraue dir. Wahrscheinlich sogar mehr als mir selbst. Ich verspreche dir, so etwas passiert nie wieder. Ich werde nie wieder zulassen, dass sich so etwas zwischen uns drängt. Es tut mir so leid.“
„Heißt das ...?“
„Wenn du mich noch willst.“ Sie versuchte zaghaft zu lächeln, doch die tränenfeuchten Wangen ließen es seltsam erscheinen.
Mein Herz pochte um Tonnen leichter, als diese Last von ihm abfiel.
„Wie könnte ich nicht, Amy! Wie könnte ich nicht!“
Ich strahlte sie an. „Danke.“
Amy stand auf und kam auf mich zu. „Ich danke dir! Ich hab‘ dich immer noch nicht verdient. Jetzt weniger als je zuvor.“
Sie setzte sich auf den Rand meines Bettes und strich mir die Haare aus der Stirn. „Entschuldigung.“
Ich genoss die Berührung ihrer kalten Finger, die auf meiner Haut brannten.
„Ich war nie sauer auf dich. Nur auf mich selbst. Und auf Jared. Ich könnte nie böse auf dich sein.“
„Sag sowas nicht.“ Sie lehnte ihren Kopf sanft auf mein Schlüsselbein. „Man weiß nie, was noch passiert.“
Ich nahm meinen Arm und legte ihn ihr um die Schulter.
„Da hast du Recht. Alles was ich weiß ist, dass ich dich liebe. Solange, bis wir sterben.“
Amy hob ihren Kopf, schaute mich einen Moment an und schloss dann ihre Augen, um mich zu küssen.
Es war ein kurzer, süßer Kuss, dann lehnte Amy sich wieder ein Stück zurück.
„Nie wieder, okay?“ Ich verspreche es. Nie wieder wird sich jemand zwischen uns drängen.“
„Nie wieder“, sagte ich lächelnd. „Versprochen.„
Und dann waren ihre Lippen wieder auf meinen.
Ich konnte mir nichts schöneres vorstellen, als ihre warmen Lippen, die sich sanft auf meinen bewegten; als ihren Atem zu spüren, ihn einzuatmen; als Amy in meinen Armen zu spüren und sie nie wieder hergeben zu müssen.
Nie wieder.

Angst

Can I hold you one last time?
To fight the feeling, that is growing in my mind.
- One Last Time * The Kooks

- Amy -

Ich wusste, dass ich sterben musste.
Dass wir sterben mussten.
Alles war aus, unsere Leben am Ende.
Und das nur, weil ich die allergrößte Idiotin der Welt war.
Millionen Menschen hatten Probleme und konnten sie lösen.
Aber ich rannte weg. Ausgerechnet in die Arme von Vampiren.
Und wir mussten dafür bezahlen. Mit unseren Leben.
Ich konnte einfach nicht mit ansehen, wie Seth von diesem Monster fertig gemacht wurde. Ich hatte das Gefühl, jeden Moment zusammenzubrechen. Es war alles meine Schuld. Wenn ihm jetzt etwas passierte …
Wieder schrie ich. Vor Entsetzen.
Das Blut, das das Fell des sandfarbenen Wolfes dunkelrot färbte brachte mich fast um den Verstand. Wenn er das nicht überlebte …
Doch er kämpfte weiter seinen aussichtslosen Kampf.
Der Mann warf ihn zurück auf den Boden, ich hörte etwas krachen.
Ich nahm kaum noch wahr, dass ich schrie. Ich wusste überhaupt nicht mehr, was ich wahrnahm. Es war zu viel. Es war zu grausam. Ich wollte nur noch, dass es endete. Wenn er es nicht schaffte, dann sollten sie mich auch nehmen. Es war meine Schuld. Alles. Es sollte aufhören!
Nach dem nächsten Donnern sah ich verwirrt, dass zwei weitere Wölfe auf der Kuppe erschienen waren.
Ich wusste, dass wieder Hoffnung bestand, dass sie mich retten würden, doch gleichzeitig war meine Angst um sie viel zu groß, um irgendein positives Gefühl überhaupt nur zu spüren.
Der riesige Rostfarbene sprang auf den Mann zu und warf ihn zu Boden.
Der schieferfarbene Wolf warf sich auf die Frau und Seth humpelte ihm hinterher.
Wieder schrie ich auf. Sein Hinterbein zog er in einer seltsam abgespreizten Stellung hinter sich her. Ich sah sofort, dass es gebrochen war.
Ein steinernes Zerreißen mischte sich mit den Geräuschen des Donners und der Schreie. Die der Frau erstarben bald und die beiden Wölfe ließen von ihr ab.
Alles was ich sah, war ein lebloses Stück, eingehüllt in das zerrissene, karierte Hemd.
Im nächsten Augenblick passierten zwei Dinge auf einmal an den Rändern meines Blickfeldes. Auf der einen Seite des Berges erschienen noch mehr Wölfe. Sie waren alle gekommen. Alle gekommen um mich zu beschützen. Ich fühlte mich noch schuldiger als zuvor.
Auf der anderen Seite wurde der große rostfarbene Wolf zwischen die Bäume geschleudert.
Alles passierte so schnell.
Ohne auch nur noch einen Atemzug zu nehmen, sah ich, dass der Vampir vom Boden absprang und sich mit seinen makellosen Zähnen auf mich stürzen wollte. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich wusste, dass es aussichtslos war. Ich wusste, dass es aus war.
Alles was ich in diesem Moment hörte, war das schmerzvolle Wimmern eines großen Tieres und ich wusste, dass es Seth war. Es tat mir alles so leid.
Doch noch während ich auf den harten Aufprall wartete, auf das Ende, darauf, dass mich der kalte Körper zu Boden warf, sah ich, dass von der Seite etwas Graues auf meinen Gegner zugeschossen kam.
Ich erkannte Leah in dem zierlichen Wesen, als sie sich auf den Vampir schmiss. Die anderen waren nah hinter ihr und wieder war das reißende Geräusch zu hören.
Die wutentbrannten Schreie des Mannes erstarben noch vor meinen.
Ich hatte immer noch nicht erfasst, was hier gerade vor sich ging, wusste immer noch nicht, was ich fühlen oder denken sollte.
Ich starrte sie einfach an.
Die Wölfe sammelten auf der ganzen Kuppe helle Teile ein und trugen sie in den Wald.
Leah kam zögernd auf mich zu und senkte ihren Kopf neben mich. Prüfend schaute sie mich an.
„Mit mir ist alles in Ordnung.“ Meine Stimme hörte sich noch immer viel zu hysterisch an und ich sah, dass Leah mir nicht glaubte.
„Wie geht’s Seth?“, fragte ich flüsternd. Ich fühlte mich schuldig und enttäuscht zugleich. Nicht alle Probleme waren gelöst, nichts war in Ordnung, doch seine Gesundheit war mir momentan wichtiger als alles andere. Solange er lebte konnte auch ich es überleben.
Leah stupste mit ihrer Schnauze gegen meine zerrissene Strickjacke und schaute mich sanft fordernd an.
„Klar, hier!“ Ich öffnete den Reißverschluss und legte sie ihr ins Maul. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie von Schlamm und Blut verschmiert war.
Doch Leah nahm sie einfach und lief zwischen die Bäume.
Ich blickte über die freie Fläche, aber meine Augen konnten ihn nicht finden.
Vielleicht war es auch besser so. Er hatte seine Pflicht getan, mir das Leben gerettet. Wollte mich jetzt wahrscheinlich nie wieder sehen.
Geschah mir ganz Recht.
Doch er hatte sich schwerverletzt und egal was passiert war, ich musste wissen, dass es ihm bald wieder besser gehen würde.
Meine Jacke war ihr an den Armen zu kurz, doch Leah kam als Mensch zu mir zurück.
An ihren Beinen hatte sie hellrote Narben, die aussahen als wären sie schon längst verheilt. Auch über ihrem linken Auge erkannte ich eine dünne Linie.
Sie sah mich mit einer Mischung aus Erleichterung und Sorge an.
Leah blieb vor mir stehen, sah mir einen Moment in die tränenden Augen, dann nahm sie mich in ihre heißen Arme.
„Ich hatte solche Angst um dich“, flüsterte sie mir zu. „Du kannst dir nicht vorstellen, was wir durchgemacht haben.“
Ich wusste, dass wir beide weinten. „Es tut mir so leid, Leah, so, so leid!“
„Alles wird gut. Du bist in Sicherheit. Alles ist in Ordnung.“
Doch nichts war in Ordnung. Ob sie sich dessen bewusst war, war mir nicht ganz klar.
Die Welt lag noch immer in Scherben. Meine Welt.
„Wie geht es ihm?“ Ich war froh, dass Leah mich noch immer umarmte. So musste ich ihr nicht ins Gesicht schauen und noch mehr von meinem Schmerz offenbaren. Meine Stimme war schon verräterisch genug.
Leah hatte ihre Tränen wieder im Griff, das Beben in ihrer Stimme war fast verebbt. „Den Umständen entsprechend. Das Bein ist wahrscheinlich gebrochen und wächst gerade so schief zusammen, dass wir es nochmal brechen müssen.“
Ich spürte den Schmerz in meinem Herzen. Alles meine Schuld.
„Die Wunde an seinem Kopf ist schon fast wieder verheilt, aber er hat viel Blut verloren. Mach dir keine Sorgen, Jake und Quil sind mit ihm schon zurück nach La Push. Der Blu- … Carlisle wird sich um ihn kümmern. Es wird ihm bald wieder besser gehen. Kein Grund zur Sorge.“
Ich nickte, doch die Tränen liefen weiter. Unglaublich, wie viele Tränen an einem Tag geweint werden konnten.
„Hey!“ Leah löste sich aus meiner Umarmung und wischte mir die Tränen von der Wange. „Es ist vorbei, Amy. Dir kann nichts mehr passieren.“ Ihre Stimme klang beruhigend, so wie die meiner Mutter, wenn ich als kleines Mädchen gefallen war und mir das Knie aufgeschlagen hatte.
Egal was mit Seth war, den Kontakt zu seiner Schwester würde ich nicht einfach abbrechen können. Dazu hatte ich Leah schon zu sehr in mein Herz geschlossen.
„Kannst du mich zurückbringen?“, fragte ich sie mit noch immer zitternder Stimme. Ich wollte diesen Ort so schnell wie möglich verlassen.
„Klar, kein Problem.“ Sie versuchte zu Lächeln, doch ich wusste, dass sie gerade sehr besorgt um ihren Bruder war. Fast so sehr wie ich. „Ich bin sofort wieder da.“
Dann verschwand sie wieder zwischen den Bäumen.
Als die zierliche Wölfin neben mir auftauchte, hatte ich fast ein bisschen Angst, ihr weh zu tun. Ich hatte für einen Tag schon genug Schaden angerichtet.
Sie war zwar fast so groß wie die anderen Wölfe, aber bei weitem nicht so kompakt wie ihr Bruder. Doch sie ignorierte mein Zögern und wartete darauf, dass ich mich auf ihren Rücken schwang.
Behutsam nahm ich meine Jacke zwischen ihren Zähnen heraus und streifte sie mir über die Arme. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie von unzähligen roten Linien bedeckt waren, die sich auch kreuz und quer über meine Beine erstreckten. Meine Knie waren aufgeschlagen und meine Sachen mit Schlamm verschmiert. Wie ich das meiner Cousine erklären sollte, war mir noch nicht ganz klar.
Kaum saß ich auf Leahs Rücken, da rannte sie schon los. Sie lief durch den Wald den Berg hinunter und raste dann zwischen den unzähligen Bäumen hindurch, die für mich ein riesiges, undurchschaubares Labyrinth darstellten. Doch Leah schien den Weg zurück nach Forks zu kennen.
Der Wind in meinen Haaren erinnerte mich an die vielen Male, als ich auf dem Rücken eines anderen Wolfes durch die Wälder gelaufen war. Doch ich wischte die Erinnerungen weg, schloss die Augen und vergrub meinen Kopf in Leahs Fell. Ich wollte nicht daran denken. Eigentlich wollte ich an nichts denken. Ich wollte nicht schon wieder weinen.
Leah lief und lief und ich hatte keine Ahnung, wie lange wir schon unterwegs waren, als sie den dämmrigen Wald durchbrach und mit mir in den Nieselregen trat.
Ich wollte abspringen, mich bedanken und von ihr verabschieden, doch dann sah ich, dass wir nicht in Forks waren.
Ich kannte den Ort hier nur zu gut, aber eigentlich wollte ich hier nicht sein. Nicht jetzt.
„Ähm, Leah?“ Sie bedeutete mir von ihrem Rücken zu gleiten und schaute mich mit ihren intelligenten Augen an. „Was .. was soll ich hier?“
Sie nickte zur Tür und stupste mich mit ihrer feuchten Nase an.
„Ich … ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist …“ Ich fühlte mich unwohl bei der Vorstellung ihm jetzt schon gegenüberzutreten. Ich hatte gehofft, dieses Gespräch noch aufschieben zu können, konfliktscheu wie ich war.
Leah zog sanft an meiner Jacke und wieder gab ich sie ihr. Keine zehn Sekunden vergingen und sie stand neben mir.
Ich hatte mich keinen Meter bewegt, hatte einfach nicht den Mut da reinzugehen.
„Amy“, Leah klang wie vorhin. Aufmunternd und tröstend. „Er braucht dich. Bitte mach das alles nicht noch komplizierter als es sowieso schon ist.“
„Leah, ich -“
„Bitte.“ Ich wich ihrem flehenden Blick aus. „Tu’s für ihn.“
Mein Herz schlug wild vor Panik. Ich hatte einfach Angst vor dem, was mir bevorstand. Ich konnte das nicht.
„Bitte.“ Leah blickte zur Tür. Ich schloss die Augen und atmete noch einmal tief durch. Dann nickte ich stumm.
„Okay.“
Sie lächelte mir kurz zu und lief dann die Stufen zur Veranda hoch. Noch bevor ich die Treppe erreicht hatte, war sie im Inneren des Hauses verschwunden.
Meine Schritte waren langsam, bedacht. Ich hatte es nicht eilig.
Als ich durch die Tür trat, hörte ich die vielen Stimmen, die scheinbar wild durcheinander redeten.
Leah fragte jemanden darüber aus, wie es ihrem Bruder ging, Jacob berichtete von dem Kampf mit den Vampiren und ich glaubte, Carlisle über Verletzungen reden zu hören.
Ich lehnte mich an den Türrahmen und blickte mich in dem Raum um, den ich heute Morgen so fluchtartig verlassen hatte. Es kam mir vor, als läge das Alles Jahre zurück.
Der Wohnzimmertisch war an einer Seite eingekracht und auf dem mit Orangensaft getränkten Teppich lagen Scherben. Die dreckigen Teller waren nicht weggeräumt und auch die Decken und Kissen lagen noch unordentlich auf dem Sofa.
Ich schloss die Augen und hielt die Tränen zurück. Das Leben war einfach nicht gerecht.
„Amy!“ Ich schlug die Augen auf und sah Sue auf mich zulaufen. „Amy! Ich bin so froh, dass es dir gut geht!“ Sie nahm mich in ihre Arme ehe ich wusste, was los war. Wenn es möglich war, dann fühlte ich mich jetzt noch schuldiger.
„Ich hatte solche Angst um euch! Gott sei Dank, dass es nicht schlimmer ausgegangen ist!“
„Es tut mir so leid, Mrs. Clearwater.“ Wieder war meine Stimme nur ein Wispern.
„Alles ist in Ordnung, meine Liebe. Alles wird wieder gut.“
Warum sie nur alle so optimistisch waren. Als ob alles in Ordnung wäre, verdammt! Das war es einfach nicht!
Durch den Flur kamen auch Leah, Quil, Jake, Sam und Carlisle zu uns. Carlisle lächelte uns aufmunternd zu.
„Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Das Bein wird gut heilen, aber nur, wenn er sich in den nächsten Tagen etwas schont und sich so wenig wie möglich bewegt.“
„Danke, Dr. Cullen.“ Mrs. Clearwater wirkte wirklich dankbar, wenn auch etwas reserviert.
„Kein Problem, wirklich.“ Carlisle durchquerte den Raum, blieb aber neben mir stehen und schaute mich prüfend an. „Und mit dir ist alles soweit in Ordnung? Irgendwelche Schmerzen?“
Nur die in meinem Herzen, dachte ich und war froh, dass er nicht die Gabe seines Sohnes hatte.
„Nein. Mir geht’s gut.“
„Okay. Also, wenn noch irgendwas sein sollte, ruft einfach an. Ich komme Morgen nochmal vorbei und schau mir an, ob das Bein gut verheilt.“
Dann nickte er noch einmal, bevor er in den Nieselregen verschwand.
Auch Sam, Quil und Jake schienen sich aus dem Staub machen zu wollen.
„Wir kommen nachher nochmal vorbei, Sue“, sagte Sam und verließ den Raum mit gesenktem Blick. Quil stützte den humpelnden Jake, der bis auf den geschwollenen Fuß schon wieder ganz der alte war.
Er zwinkerte mir locker zu und folgte Sam zur Tür hinaus.
Leah blickte ihren Brüdern gedankenverloren hinterher und warf mir dann einen schnellen und entschuldigenden Blick zu.
„Tut mir leid“, sagte sie hastig, „ich glaube, ich sollte lieber mal mitgehen. Ihr könnt mich hier jetzt sowieso nicht gebrauchen. Wir sehn uns, Amy.“
Und dann war auch sie verschwunden und ließ mich mit Sue allein. Gemeines Pack.
„Du solltest bei ihm gucken“, sagte Sue lächelnd und verschwand in die Küche.
Ganz allein und mit rasendem Herzen ging ich Stück für Stück durch den Raum und näherte mich dem Flur.
Durch das Fenster am anderen Ende des langen, holzvertäfelten Ganges drang das dämmrige Licht des späten Nachmittages.
Mein Herz fing an zu rasen und ich bekam wieder Panik. Die Angst wurde mit jedem Schritt größer, den ich auf die Tür am anderen Ende des Flures zuging. Wovor genau ich Angst hatte, wusste ich selbst nicht so genau, aber es war wie das Gefühl, wenn man einen harten Schlag gegen die Rippen bekommen hatte. Wenn man große Schmerzen litt und sich das Herz zusammenzog. Ich hatte einfach Angst.
Neben seiner Tür lehnte ich mich gegen die Wand, schloss noch einmal die Augen und atmete tief durch. Ich würde das überstehen. Ich würde es überleben. Alles würde seinen Lauf nehmen.
Mit zitternden Händen klopfte ich gegen seine Tür.
„Ja?“ Seine Stimme, die Stimme für die ich wahrscheinlich alles tun würde, auch wenn sie mir das Herz brach. Sie klang ein bisschen aufgeregt, ich kannte sie zu gut.
Zögernd drückte ich die Klinke nach unten und ging ins Zimmer.

Auf in den Kampf

Would you die tonight for love?
- Join Me * HIM


- Seth -

„Was meinst du damit, dass sie in Gefahr ist?“ Leahs Augen hatten sich geweitet und blickten mich starr vor Schreck an.
Doch ich schüttelte nur den Kopf, zitterte am ganzen Körper und versuchte wenigstens etwas zu begreifen. Aber es war einfach zu viel.
Meine Schwester rüttelte an meiner Schulter. Sie wirkte ängstlich und besorgt. „Seth?“
„Verdammt, Leah, ich weiß es nicht!“ Wütend und panisch zugleich sprang ich von dem Sessel auf. „Ich weiß nur, dass wir irgendwas tun müssen. Sie suchen, sie beschützen. Retten.“
Amy war in ernsten Schwierigkeiten und mit jeder Sekunde wurde meine Angst um sie größer. Wenn ihr irgendetwas zustieß …
Wieder schüttelte ich den Kopf und begann nervös im Raum auf und ab zu gehen.
„Vielleicht ist sie ja doch nach Forks zurückgefahren.“ Jared schien zu hoffen doch noch alles glücklich kippen zu können. Doch ich wusste, dass sie nicht da sein würde. Wusste es einfach.
Leah stolperte zum Telefon und wählte die Nummer der Webers. Noch während sie auf das Abheben am anderen Ende der Leitung wartete, beruhigte sie sich oder versuchte es zumindest.
„Angela? Hey, hier ist Leah Clearwater. Sag mal, ist … sind Amy und Seth da?“ Mein Herz zog sich zusammen als sich unweigerlich ihr Gesicht vor meine Augen drängte. Als ich sah, wie Leahs Schultern nach unten sackten wusste ich, dass ich richtig gelegen hatte. Sie war nicht in Forks.
„Ach so. Nein, keine Probleme. Ich weiß nur nicht, wo sie hinwollten. Ich wollte nur was von Seth wissen. Wenn sie auftauchen, kannst du mir dann Bescheid sagen? ... Danke, dass ist echt lieb von dir. Ja, tschau.“
Mutlos legte meine Schwester das Telefon wieder auf die kleine Kommode und blieb mit dem Rücken zu uns stehen. Ganz leise hörte ich ihr Schluchzen.
Emily schien als einzige die Ruhe zu bewahren. Ihre ruhige und vertraute Stimme befahl Jared die anderen zu rufen. Ich nahm nicht wirklich bewusst wahr, wann Jared ging, wann Emily mich in die Küche führte oder wann meine Brüder klatschnass durch die Tür kamen, aber ich spürte die Angst in mir unfassbar klar. Angst, alles was in meinem Leben zählte für immer zu verlieren. Bereits verloren zu haben.
Irgendwann hatten sie sich alle in der kleinen Küche versammelt. Ich spürte die Hitze, ihre nervösen Blicke, die auf mir ruhten und roch den Duft des Waldes. Meine Brüder waren besorgt, ich konnte ihre Anspannung fast spüren.
„Was sollen wir jetzt machen?“ Jacobs Stimme klang ernsthaft verzweifelt. Er dachte bestimmt darüber nach, was er tun würde wenn Nessie … Ich schloss wieder die Augen und atmete tief durch. Nein, sie würde nicht … wir würden sie finden. Alles würde gut werden.
„Ich habe ihre Spur nirgends gefunden.“ Meine Stimme war nach wie vor brüchig, voll von Schmerz, Angst und Verzweiflung. „Aber, verdammt, Jake! Wir müssen sie suchen! Überall! Ich spür, dass sie in Gefahr ist!“
„Seth“, sagte Jake und versuchte einfühlsam zu klingen, was ihm nicht wirklich gelang, „wie stellst du dir das vor? Das Gebiet hier ist riesig und wer weiß, wo sie jetzt schon ist.“
Wieder überkam mich die Hysterie. Wieder war es die Wut. Die Panik. Es war einfach grauenhaft.
„Dann suchen wir eben das ganze Gebiet ab. Die ganze Halbinsel. Wir sind viele, wir können das schaffen! Aber mit jeder Minute, die verstreicht …“ Ich riss mich zusammen. „Die Gefahr wird größer. Ich habe einfach unheimliche Angst um sie, okay? Es … es ist nicht so, dass ich mir das einbilde. Sie ist wirklich in Gefahr und ich will nicht riskieren, dass … dass das böse ausgeht …“
Mein Blick war auf die Maserung der Tischplatte geheftet.
In der Küche herrschte betretenes Schweigen. Keiner der anderen wusste, was er sagen sollte.
Wieder war es Jake.
„Okay Leute, wir machen uns auf den Weg. Wir teilen uns auf.“
Eine kleine Hoffnung durchbrach meine Verzweiflung. Ich sah Jacob ernst nicken, einen nach dem anderen eindringlich betrachten.
Mir stockte der Atem als ich sah, dass einer fehlte.
„Wo ist Sam?“, fragte ich.
Emily tätschelte mir sanft die Schulter. „Er ist noch unterwegs, ich habe ihn nicht erreicht.“
Einer unserer besten Männer war also nicht da. Unser Koordinator und Ältester. Wir würden das ohne ihn hinbekommen müssen.
„Okay, also gut. Ich geh mit Seth und Embry Richtung Nordosten, okay? Paul, du, Leah, Collin und Marc, ihr sucht im Süden –“
Das schrille Klingeln eines Telefons ließ uns alle zusammenzucken.
„Oh mein Gott.“ Emily drängte sich zwischen den großen und muskelbepackten Männern vorbei, die verwirrt im Raum standen und hastete zum Telefon.
„Hallo?“ Alle hielten den Atem an und lauschten angestrengt.
„Oh, hey! Tut mir leid, Süße, wir haben hier grad ein Problem … Ich erklär es dir später, okay? Ja, ich … ich komme und hol dich ab. Lass dir Zeit, ich brauch bestimmt eine dreiviertel Stunde. Ja, tut mir leid. Wir sehen uns. Ich dich auch. Bis gleich.“ Dann atmete sie zweimal tief durch und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.
Niemand fragte nach dem Anrufer, doch Emily wusste genau, dass wir alle wissen wollten, wer es gewesen war. Eine dunkle Vorahnung beschlich mich.
Emily drehte sich schließlich doch um und fuhr sich mit ihrer vernarbten Hand durch das dunkle, glänzende Haar.
„Valeria. Sie sitzt am Flughafen und wartet. Hat jemand ein Auto für mich?“
Scheinbar war mein Sinn für Vorahnungen heute ausgeprägter als sonst.
„Hier.“ Paul warf seinen Schlüsselbund in Emilys Hände. „Er steht vor unserer Tür.“
„Danke!“ Ohne noch etwas anderes zu tun, rannte sie zur Tür und verschwand im Regen. Das Gewitter schien weitergezogen zu sein, doch der Regen prasselte noch immer erbarmungslos vom Himmel.
„Valeria?“ Quil sah mich mit großen Augen an.
„Leute, bitte! Ihr wisst genau, dass ich nichts von ihr will! Dass ich nie etwas von ihr wollte! Dass das alles nur ihre Hirngespinste waren! Wir haben jetzt wirklich wichtigere Dinge zu besprechen, als Valeria!“
„Ist ja schon gut, Seth. Wir müssen jetzt erst mal Amy suchen und finden, bevor ihr wirklich noch etwas zustößt.“ Jake hatte das Alpha-Sein wirklich im Blut. Er war der geborene Anführer. „Wie gesagt, Seth und Embry gehen mit mir in Richtung Port Angeles, Leah, Paul, Marc und Collin suchen im Süden …“
Wieder zuckten wir zusammen, als das Telefon klingelte.
Im ersten Moment rührte sich niemand, doch dann ergriff erneut Jacob die Initiative und lief zurück ins Wohnzimmer.
Wieder herrschte im Raum totenstille.
„Alice! Was …? Ja, alle sind … Was?“ Jacob war einen Moment ruhig. Und wieder einmal ahnte ich nichts Gutes.
Mechanisch erhob ich mich und ging an den anderen vorbei zum Wohnzimmer. Mein Bruder umklammerte die Anrichte mit einer Hand als würde er sich abstützen. Seine Augen waren weit geöffnet, genau wie sein Mund. Selbst im dämmrigen Licht des Unwetters erkannte ich die seltsame Färbung seiner Haut. Irgendwas war hier ganz und gar nicht in Ordnung.
„Nein.“ Seine Stimme war ein leises Zittern, nicht mehr. Er klang schockiert.
Jacob blickte nicht zu mir, seine Augen waren auf den Dielenboden gerichtet.
Die Panik in mir meldete sich zurück. Es ging um Amy, da war ich mir sicher. Und es waren keine guten Nachrichten.
„Wo? Alice, kannst du uns sagen – Eine Anhöhe? Blick zum Hunger Mountain? Ja, ich weiß, wo das ist! Danke Alice, tausend Dank! – Was? Nicht mehr … Ja, wir beeilen uns, keine Sorge. Nein, wir schaffen das schon, trotzdem Danke!“
Er knallte das Telefon wieder auf den Tisch und drehte sich zu uns um.
Nur ein Blick, dann rannte er zur Tür.
Ich rannte ihm hinterher und wusste, dass die anderen nur knapp hinter uns waren.
„Jake!“ Ich schrie, kreischte fast als ich die zufallende Tür wieder zurückschlug. „Was ist passiert?“
„Wir haben keine Zeit mehr!“ Er war schon fast im Wald und zog sich sein T-Shirt über den Kopf.
Die Panik und die Sorge übermannten mich erneut und noch bevor ich die ersten Farne erreichte, wusste ich, was los war.
>Nein.<>Nein. Nein! Nein! Das ist nicht ihr ernst!<
Auch die anderen wirkten entsetzt. Doch sie hatten keine Ahnung, wie es mir ging.
Ich litt schon jetzt Todesqualen. Allein der Gedanke …
>Es tut mir so leid, Mann! Aber wir müssen uns jetzt beeilen, wenn wir ihr noch helfen wollen!< Jake war schon gut zwei Meilen voraus.
Ich lief los, während die anderen sich mit ihren Kommentaren zurückhielten.
Leah war geschockt. Auch sie hatte große Angst um sie.
Jared gab sich die ganze Schuld für alles. Ich wollte ihm nicht wiedersprechen.
Vampire. Blutrünstige Vampire. Schlimmer hätte es wirklich nicht mehr kommen können.
Ich hatte die anderen schnell wieder eingeholt, die meisten überholt.
Mein großer Körper war getrieben von der Sorge und bereit zu kämpfen. Zu kämpfen für alles, was er ersehnte.
Ich wurde fast blind durch den Wald getragen, immer hinter Jake her in Richtung Berge. Als wir Forks erreichten, rannte ich bereits Seite an Seite mit ihm.
>Seth, wir packen das schon. Wir werden sie finden. Wir bekommen das hin.< Ich wusste, dass er nicht nur mir, sondern auch sich selbst versuchte Mut zu machen. Aber es war wirklich keine gute Zeit, jetzt zu versuchen, mich aufzumuntern. Nicht jetzt, wo alles was ich wollte Amy beschützen war. Nicht jetzt, wo mein ganzes Leben auf der Kippe stand.
Er konnte mich nicht aufmuntern.
Ich war bereit zu kämpfen.
Ich war bereit zu sterben.
Wenn sie nicht mehr war, dann konnte auch ich nicht mehr leben, das wusste ich.
Ich war bereit für sie zu kämpfen, auch wenn ich mich opfern musste.
Ich war zu allem bereit.
>Soweit wird’s nicht kommen, Seth. Wir sind 16, sie sind zwei. Mach dir keine Sorgen, wir holen Amy da raus!“
Wenn wir nicht zu spät kamen.
Wir rannten dem Wetter hinterher. Der Sturm, der die Küste heimgesucht hatte, war ins Landesinnere abgezogen, direkt auf die Berge zu. Direkt dorthin, wo Amy in diesem Moment wahrscheinlich um ihr Leben bangte.
Der Regen wurde wieder stärker, das Donnern lauter.
Die Stimmen in meinem Kopf schwiegen, konzentrierten sich darauf gleichmäßig zu laufen, so schnell es nur ging. Keiner wollte über irgendwelche Konsequenzen nachdenken.
Dafür war mein Kopf bis zum Rand gefüllt mit sämtlichen Emotionen und Erinnerungen. Doch es war alles so verwirrend und unwirklich, dass ich es doch nicht erfassen konnte und einfach nur lief. Mein Kopf fühlte sich betäubt an.
Der Wald wurde dunkler und Jacob drosselte sein Tempo. Ich verstand nicht warum.
>Es sind noch gut drei Meilen bis zum Hunger Mountain. Sie muss irgendwo in der Nähe sein. Wir müssen uns aufteilen und nach ihr suchen. Es dürfte nicht allzu schwer sein, ihr Geruch ist auffällig. Jared und Paul, ihr lauft mit Brady, Luke und Zac nach Süden und sucht dort weiter. Leah, Embry, Collin, Noah und Michael, ihr geht weiter in Richtung Osten. Quil, Marc und Austin sucht im Nordwesten und Seth und Connor kommen mit mir. Wir übernehmen den Nordosten. Sobald jemand eine Spur findet, folgen ihr alle, ist das klar? Beeilt euch, wir haben nicht mehr viel Zeit!<
Das Rudel spaltete und trennte sich in alle Richtungen.
Jake rannte immer noch nicht schneller, suchte nach ihrem Geruch. Connor war direkt hinter ihm.
Die Jüngeren schienen ziemlich aufgeregt und freuten sich über die Abwechslung, auch wenn sie wussten, dass es ernst war. Nicht das sie sich über die Tatsache freuten, dass eine von uns in Lebensgefahr schwebte, nein, aber sie freuten sich darüber, dass sie endlich einmal mit Vampiren kämpfen durften.
Ich rannte schneller als die beiden anderen, wollte in nördlichere Gebiete vordringen. Die bewaldeten Täler umgaben das gesamte Gebiet hier, wir hatten noch eine Menge vor.
Jacob war der Meinung, wir sollten lieber zusammenbleiben und nicht mehr als eine Meile Abstand voneinander haben, doch ich hörte nicht auf seine Gedanken. Ich wusste zwar, dass er mich jederzeit mit einem Befehl zurückholen konnte, doch ich wusste auch, dass er das nicht bringen würde. Nicht jetzt.
Es wiederstrebte ihm sowieso, doch er wusste, wie nah an einem Nervenzusammenbruch ich eh schon war, da wollte er mich nicht noch dadurch strafen. Ich kannte ihn zu gut.
>Seth, bitte!<
>Was hast du denn? Wenn ich etwas finde, dann … es ist doch besser, wenn wir uns aufteilen, dann haben wir eine höhere Chance sie zu finden!<
>Also wir haben hier noch nichts gefunden<, meldete Jared sich zu Wort. Er klang noch immer deprimiert und schuldig.
> Wir suchen noch<, Collin hingegen wirkte richtig aufgedreht.
Ich durchquerte das flache Flussbett eines schmalen Baches und jagte weiter durch den Wald.
Irgendwo musste sie doch sein, verdammt noch mal!
>Ähm, Jake?< Quil. Ich erstarrte fast, als ich den Geruch erkannte, den er gerade gefunden hatte.
Amy! Wir waren also richtig!
>Quil, wo bist du?<
>Oben, in der Nähe von Bigler Mountain.<
>Gut, Leute, ihr schlagt jetzt alle den schnellsten Weg nach Norden ein! Quil, ihr lauft weiter Richtung Westen, wir verfolgen die Spur nach Osten!<
>In Ordnung.<
Ich lief weiter durch das Tal und versuchte die nächste Biegung nach Westen zu bekommen. Amy konnte nicht mehr weit sein, ich spürte sie schon beinah.
>Seth! Komm zurück, du bist schon viel zu weit im Osten!<
>Ich nehm die nächste Strecke nach Westen, die ich finden kann. Ich will nicht über die Berge, Jake!<
>Okay, aber beeil dich, ja? Quil, ich bin gleich bei euch!<
>Wir haben eure Spur, Jacob, wir sind auch auf dem Weg<, Paul war auf Connors Laufroute gestoßen.
>Alles klar.<
>Jacob, wir kommen zurück! Wir sind fast am Highway, Amys Spur führt auf den Wanderweg zurück. Lauft nach Osten weiter!< Quil machte mitten im Wald kehrt und rannte Jacob wieder entgegen.
Vor mir fand ich eine kleine Lichtung und raste Richtung Westen weiter, während die anderen sich koordinierten. Ich war weiter abgekommen, als ich gedacht hatte.
Doch plötzlich erstarrte ich.
Direkt vor mir war Amys Spur. Keine fünf Minuten alt! Ihre Nähe war also doch keine Einbildung gewesen!
Ich folgte dem Geruch und gelangte an den Fuß eines Berges. Er war an dieser Seite unbewaldet und die Schlammmassen kamen mir nur so entgegen.
>Seth! Verdammt, wo bist du?! Du wirst nicht allein gegen sie kämpfen!<
Ich versuchte einzugrenzen, wo ich war, doch ich konnte mich nicht wirklich konzentrieren.
Ich spürte Amy, spürte die Gefahr, die schon in der Luft lag, ich spürte sogar die Kälte und den Durst meiner Feinde. Ich konnte sie schon riechen.
>Seth! Nein! Du wartest auf uns!<
>Ich kann nicht, Jacob! Sie ist hier! Ich bin fast da! Ich kann sie nicht einfach sterben lassen!<
>Du wirst umkommen!<
>Es ist nicht das erste Mal, dass ich es mit Vampiren zu tun habe!<
>Wir kommen, halt sie in Schach, okay? Aber riskier nichts!<
Doch ich konnte ihm nichts versprechen. Ich würde tun, was ich tun musste um sie zu beschützen.
Ich hatte mich fast den gesamten Berg hochgekämpft, war oben angekommen.
Blitz und Donner begleiteten die Szene, die mich oben empfing.
Eine Frau und ein Mann, beides Vampire, unübersehbar, die langsam auf Amy zugingen, die immer weiter zurückwich und sich scheinbar den Hang hinunterstürzen wollte.
Ihr süßlicher Geruch lag bleiern über der Kuppe. Ich überließ mich meinen Instinkten. Den Instinkten, Amy zu schützen.
Ein lautes Knurren entwich meiner Kehle und alle drei drehten sich zu mir um. Alle drei rissen verwirrt die Augen auf. Amy schrie auf.
>Seth, bau keinen Mist!<
Ich ignorierte meinen Alpha und ging zähnefletschend auf meine Gegner zu.
Die Vampirdame schien sich der Herausforderung nur zu gern stellen zu wollen und kam grinsend auf mich zu. Der Mann bewegte sich nicht von der Stelle, blickte nur mit seinen dunkelroten Augen zwischen Amy und mir hin und her.
Amys Angst konnte ich noch deutlicher spüren als zuvor. Sie hatte Todesängste.
Ich versuchte auszublenden, was sie wohl denken würde, was vorhin passiert war, und stellte mich meiner Gegnerin. Ich musste sie überwinden und den Mann aufhalten, bevor er sich auf Amy stürzen konnte.
„Hallo, mein Süßer.“ Die Stimme dieses abscheulichen Wesens war klar und hell. Ihren süßlichen Atem roch ich trotz des starken Regens.
Ohne noch weiter auf ihre Plauderei einzugehen, sprang ich und warf sie zu Boden.
„NEIN! SETH!“ Amys Schrei war eher ein Kreischen. Ich dachte, Angst, Panik und Sorge herauszuhören.
Auch Jacob mahnte mich erneut. >Seth! Connor und ich sind fast da, okay? Wir müssen nur noch diesen dummen Berg hoch! Halt dich zurück!<
Ich riss an ihrem Handgelenk und warf ihren Unterarm den Hügel hinunter. Das reißende Geräusch wurde von Amys Schreien und den Donnerschlägen begleitet. Auch der Vampir unter mir schrie. Vor Schmerz, wie ich hoffte. Doch sie gab nicht auf und versuchte, mir ihre Zähne in das linke Vorderbein zu schlagen. Ich zog weg.
Von hinten bekam ich einen heftigen Schlag und landete im Gras. Wieder schrie Amy.
Ihr Begleiter hatte sich dazu entschlossen, Amy vorerst zu verschonen und stattdessen seine Gefährtin zu verteidigen.
Seine dunklen Augen glitzerten mich gefährlich an und sein Gesicht war verzerrt zu einer Maske des Zorns und des Schmerzes. Er warf sich wieder auf mich und trat mir gegen den Kopf.
Ich spürte die plötzliche Wärme an meinem Hinterkopf deutlich, doch ich fühlte keinen Schmerz.
Ich stand wieder auf und sprang auf den Vampir zu.
Irgendetwas brach, als er mich von sich stieß.
Amys Schreie wurden nicht weniger. Sie wurden nur noch lauter, hysterischer.