Sonntag, 31. Oktober 2010

Und es ist doch wundervoll …

I was not left drifting. A new string held me where I was.
Not one string, but a million. Not strings, but steel cables. A million steel cables all tying me to one thing – to the very center of the universe.
I could see that now – how the universe swirled around this one point. I’d never seen the symmetry of the universe before, but now it was plain.
The gravity of the earth no longer tied me to the place where I stood.
- Jacob Black (Breaking Dawn)


- Seth -

„Lass ihn noch ein bisschen schlafen, Mom! Es war spät für ihn, gestern Abend.“
„Bist du mit ihm gekommen? Ich hab euch gar nicht mehr gehört.“
„Ich bin mit Sam und den anderen zurückgekommen. Seth war nochmal Patrouille laufen, soweit ich weiß. Er muss es erst verarbeiten, glaube ich.“
„Mein kleiner Junge …“
„Mom! Lass ihn das ja nicht hören!“
„Ich hätte nicht gedacht, dass ihm das so früh passiert …“
„Da hat niemand Einfluss drauf. Aber ich freu mich irgendwie für ihn. Auch wenn er erst nicht auf mich hören wollte! Ich wusste sofort, dass Amy ein Teil von uns werden würde, aber Seth war ja so dickköpfig und wollte sie gar nicht erst kennenlernen!“
„Ich glaube, er ist froh, sie doch noch getroffen zu haben.“
„Ich auch. Glaub mir, er ging uns allen auf die Nerven! Er hat sich tierisch darüber aufgeregt, dass alle so glücklich waren, außer ihm. In den nächsten Wochen wird er uns dann noch mehr auf die Nerven gehen! Aber wir werden’s überleben …“
Die Stimmen aus der Küche hatten mich geweckt. Warum mussten sich Mum und Leah immer so laut unterhalten? Leah konnte doch nicht vergessen, wie gut meine Ohren waren …
Langsam wurde ich richtig wach und die Erinnerungen an den gestrigen Abend kehrten zurück. Plötzlich wollte ich ganz schnell aufstehen und raus zu Amy. Amy.
Mein Herz fing schon bei dem Gedanken an ihren Namen an zu rasen. Die anderen hatten sowas von Recht gehabt! Wenn man die Person gefunden hatte, die für einen bestimmt war – da gab es nichts Wundervolleres!
Und Amy war perfekt. In jeder Hinsicht! Sie war klug, lachte gerne, war außerordentlich nett und freundlich, sie sah wunderschön aus – und sie mochte mich.
Ich grinste vor mich hin, als ich an ihr Gesicht dachte, an ihr Lächeln, an ihre Küsse.
Ich stieg so schnell ich konnte in meine Shorts und rannte durch den Flur.
„Seth?“, hörte ich meine Mutter fragen.
„Ich komme später wieder!“ Und da war ich auch schon aus der Tür. Ich lief in den nahen Wald, zog meine Hose wieder aus und band sie mir ums Handgelenk. Den Trick hatte ich von Jake. Ich konzentrierte mich und keine Sekunde später explodierte ich auch schon. Dieses Gefühl ließ mich auch nach über einem Jahr immer noch zittern. Es war so überwältigend, da gewöhnte man sich nicht dran.
Ich lief durch den Wald. Die Sonne stand schon relativ hoch. Zehn Uhr, schätzte ich.
>10:20. Hey, Seth! <
Ich war also nicht alleine. >Hey Quil.<
>Du und Amy, ha? <
Ich dachte an den ersten Moment, in dem ich sie gesehen hatte. Ich war ja sauer gewesen, weil Leah mich unbedingt dazu hatte bringen wollen, sie kennenzulernen. Ich hatte nicht geahnt, dass sie da schon hinter mir gesessen hatte und was sie mir bedeutete: Alles. Dann war ich aufgestanden, um mir etwas zu essen zu holen. Und plötzlich war sie da gewesen. Einfach so. Und sie hatte mir in die Augen geschaut und ich hatte alles vergessen, was mir bis dahin wichtig erschienen war. Alles was jetzt noch zählte, war sie. Amy. Meine Amy.
>Ich hab dir doch die ganze Zeit gesagt, dass es das Beste ist, was dir passieren kann! < In Quils Gedanken sah ich seine erste Begegnung mit Claire. Die Kleine hatte, zusammen mit ihren Eltern, bei Emily in der Küche gesessen und Erdbeerkuchen gegessen.
>Ich glaub dir ja. Genau wie dem Rest. Aber man muss es selbst erleben, um es zu kapieren! <
>Stimmt schon … Was hast du jetzt vor? <
Ich versuchte leicht genervt zu denken. Kam er da nicht selbst drauf?
>Okay, okay. Hätt ich mir ja denken können. Ich lass dich jetzt mal allein. Die anderen sind beim Aufräumen. Ich nehm an, du kommst nicht?! <
>Ich denke, eher nicht. <
>Na dann wünsch ich dir viel Spaß heute< Quil schien seine Bemerkung lustig zu finden. In seinen Gedanken sah ich ein Bild, dass ich aus dieser Perspektive nicht kannte. Zwei junge Menschen, die unter einem Baum auf den Klippen saßen. Die Sonne schien gerade untergegangen zu sein und er hatte sich zu ihr gebeugt um sie zu küssen.
Ich verglich es mit meiner eigenen Erinnerung. Wir hatten uns an diesem Abend noch oft geküsst, aber dieser erste Kuss würde für immer etwas ganz Besonderes bleiben. Es war so romantisch gewesen und …
>Ich glaub, ich geh jetzt wirklich lieber. <
>Sorry, Quil. <
>Du brauchst die nicht zu entschuldigen, Seth. Glaub mir, ich versteh dich, auch wenn Claire und ich noch lange nicht soweit sind. < Claire war letzten Monat gerade vier geworden. Quil musst bestimmt noch über zehn Jahre warten …
>So lang es ihr gut geht und sie glücklich ist, ist das schon okay. Mehr will ich gar nicht. <
>Schon gut, du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Ich versteh jetzt genau, was ihr alle gemeint habt. Man will nur, dass sie glücklich ist. <
>Eben. Bis später dann. < Im nächsten Moment war Quil schon weg und ich mit meinen Gedanken alleine. Ich versuchte mich auf den Wald zu konzentrieren, aber ich kannte den Weg nach Forks schon in und auswendig, da konnte ich kaum anders, als abzuschweifen.
Ich konnte an nichts anderes denke, als sie wieder zu sehen. Amy endlich wieder in die Augen zu sehen – in diese wunderschönen Augen - und sie im Arm zu halten. Ich musste ihre Stimme hören und sie lächeln sehen.
Es war so schwer gewesen, sie heute Nacht zu verlassen. Auch wenn ich genau wusste, dass ich sie bald wiedersehen würde. Wir hatten zu den Letzten gehört, die sich auf den Heimweg gemacht hatte. Es hatte mich alle Kraft gekostet, sie einfach zurück nach Forks fahren zu lassen. Und dann war ich noch durch den Wald gelaufen, hatte mit dem Gedanken gespielt, ihr hinterher zu laufen. Aber ich war zu müde gewesen, um noch weiter zu rennen und bin doch nach Hause.
Und dort wurde ich wieder von ihr eingeholt. Ich hatte geträumt. Von Amy. Nur von ihr. Sie war mit mir am Strand entlang gelaufen, hatte mir ihre Hand gegeben und war durch das Wasser gerannt. Und sie hatte ihr bezauberndes Lächeln gelächelt.
Ich schüttelte den Kopf. Ich musste sie unbedingt sehen. Wenn ich das nicht so bald wie möglich konnte, würde ich im Universum untergehen.
Aber ich hatte das Gefühl, dass das nicht passieren würde. Ich würde immer einen Weg zu ihr finden. Sie zog mich magisch an.
Der Wald wurde langsam lichter und ich erkannte die Straße. Ich überlegte, ob ich als Wolf vor Amys Haus schleichen oder sie als Mensch besuchen sollte.
Mir war klar, dass sie, wenn sie mich als Wolf sehen würde, höchstwahrscheinlich erst mal total verschreckt wäre. Aber sie musste Alles erfahren. Die ganze Wahrheit. Heute. Ich hatte es ihr versprochen.
Aber die Aussicht, ihr erzählen zu müssen, was ich wirklich war und die Angst vor ihrer Reaktion wogen in diesem Moment nicht annähernd so viel, wie das Bedürfnis, sie endlich wieder zu sehen.
Ich merkte, wie ich lächelte. Noch gestern war mein Leben so anders gewesen. In einem Moment konnte sich alles ändern. Magisch. Wunderbar. Die Anderen hatten es mir ja gesagt.
Aber es ging so schnell. So verdammt schnell! Ich kannte sie kaum 20 Stunden und schon war sie der Mittelpunkt meines Lebens und ich total abhängig von ihr. Was für eine verrückte Welt …

Ich hatte mich für den Wolf entschieden und lief jetzt am Waldrand entlang, aber immer noch so tief zwischen den Büschen, Bäumen und Farnen versteckt, dass es unmöglich war, mich von der Straße aus zu sehen.
Eine leichte Brise wehte aus Forks zu mir herüber und augenblicklich blieb ich stehen. Dieser Geruch ließ mich träumen und erschaudern zugleich. Amys Duft war noch bezaubernder, als ich ihn in Erinnerung hatte. Sie roch nach Lavendel und Rosen. Und nach meinem ganz persönlichen Stern. Nichts war mit diesem Geruch zu vergleichen. Ich kannte nichts, was auch nur annähernd so gut roch, wie sie. Ich nahm einen weiteren, tiefen Atemzug und pirschte mich näher an die Siedlung heran.
Ich hatte Glück. Die großen Farne reichten gegenüber dem Haus der Webers bis an den äußersten Waldrand. Ich konnte das Haus ungehindert betrachten, ohne befürchten zu müssen, entdeckt zu werden.
Hier war Amys Duft noch deutlicher. Ich hätte fast sehen können, wo sie gestern Abend vom Auto zum Haus gelaufen sein musste. Vielleicht war sie auch getanzt. Mein Lächeln wurde noch breiter. Tanzen konnte sie. Und wie!
Ich legte mich zwischen die Farne, blickte zum Haus und spitzte die Ohren.
Vorne links sah ich die Küche. Mrs. Weber schien am Kochen zu sein, das Radio lief. Ich hörte zwei paar Füße auf Gras laufen und gegen einen Ball treten. Irgendwo hinter dem Haus blätterte jemand in einer Zeitung. Und dann waren da noch zwei weibliche Stimmen aus der oberen Etage. Beim Klang der Einen verlor ich mich im hier und jetzt. Es gab nicht anderes mehr, als ihre Stimme. Der ganze überflüssige, unwichtige Rest war wie ausgeblendet.
„Ja. Genau. Natürlich hast ein Recht darauf, auszuschlafen, aber…“
„Jetzt ist eh zu spät, da kann ich auch aufstehen!“ Amy. Mein Herz fing an zu rasen. Leicht verschlafen klang ihre Stimme fast noch süßer als wach.
„Tut mir leid.“
„Schon in Ordnung.“ Jemand stand von einem alten Bett auf und lief über Holzdielen. Eine Schranktür öffnete sich.
„Und du hast den Abend ziemlich genossen, hm?!“
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr!“
„Ich freu mich so für dich! Und Seth ist auch echt nett und …“
„Er ist fantastisch!“ Angela lachte. „Nein, ganz ehrlich. Ich habe noch nie jemanden wie ihn getroffen. Sein ganzer Charakter und seine Art und sein Lächeln und …“
„Dich hat’s total erwischt!“
„Glaubst du, du hältst es mit mir aus?“
Angela lachte wieder. „Was denkst du denn? Natürlich! Ich glaube, ich werd dich sogar vermissen.“
„Wie meinst du das?“ Amy klang verwirrt und hielt inne.
„Hast du etwa immer noch vor, den ganzen Sommer mit mir in Forks zu verbringen? Du willst doch jetzt bestimmt jeden Tag nach La Push! Ich befürchte, ich werd nicht mehr viel von dir sehen.“
Amy schwieg kurz. Mein Blut schoss immer noch so schnell durch meinen riesigen Körper und pochte so laut in meinen Ohren, dass ich die beiden kaum verstand. Sie war verliebt. In mich. Ich war der glücklichste Mensch – oder momentan Wolf – der Welt! Ich wäre am liebsten aufgesprungen und durch den Wald gejagt. Aber ihrer Nähe konnte und wollte ich mich jetzt nicht entziehen.
„Ich werd dich einplanen. Wer weiß, vielleicht – vielleicht will er mich ja auch gar nicht wiedersehen …“ Sie stockte.
Ich hielt den Atem an. Wie kam sie bitte auf solche Ideen?
„Und Kühe können fliegen! Amy, ich hab euch gesehen. Ich hab seinen Blick gesehen! Vertrau mir, er WILL dich wiedersehen!“
„Naja, heute wollte er mit mir an den Strand. Er wollte mir einiges über seine Familie und Freunde erzählen.“
„Sag ich doch. Mach dir mal keine Sorgen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr in diesem Sommer noch ganz viel Zeit zusammen verbringen werdet.“
„Ich hoffe es …“
„Ist dir eigentlich mal aufgefallen, dass du die ganze Zeit am grinsen bist?“, fragte Angela in einem zärtlichen Ton.
„Ehrlich?! Oh mein Gott!“ Ich hörte sie lachen. „Das ist ja noch schlimmer als in irgendwelchen Kitschromanen!“
Angela stimmte in das Lachen mit ein. „Ich freu mich für euch! Und ihr seid so süß zusammen!“
„Sag ich doch; Kitschroman, nur noch viel schlimmer!“
Plötzlich zog jemand die Rollladen im oberen rechten Zimmer hoch. Es war, als würde mir jemand in den Bauch schlagen, aber nicht schmerzhaft. Eher seltsam angenehm. Eine tiefe, große Freude erfüllte mich. Da am Fenster stand sie.
Ich fühlte mich wieder genauso wie gestern Abend, als ich sie das erste Mal gesehen hatte. Amys grau-blaue Augen leuchteten mir direkt ins Herz und ließen alles andere verblassen. Ihr gesamtes Ich ließ mich erschaudern. Sie war so wunderschön und atemberaubend. Und in mich verliebt.
Ich jaulte vor Freude auf.
Amys Kopf bewegte sich ruckartig in meine Richtung. Vorsorglich kauerte ich mich noch tiefer zwischen den Farnen zusammen.
„Sag mal, habt ihr hier Wölfe?“, fragte Amy ihre Cousine und ließ den Blick über die Büsche wandern. Bei meinem hatte ich das Gefühl, dass sie einen kurzen Augenblick länger innehielt.
Angela erschien am Fenster und blickte ebenfalls in den Wald hinter mir. „Letztes Frühjahr war es extrem! Da war sogar die Rede von Riesen-Wölfen, die Bären glichen. Einige Menschen sind sogar bei ihren Angriffen gestorben.“
Ich sah, wie Amy den Kopf zu Angela drehte und sie ängstlich anblickte.
„Keine Sorge“, antwortete die schnell, „Das war letztes Jahr. Sie scheinen weitergezogen zu sein. Seitdem hat man nichts mehr von ihnen gehört.“
Amy blickte wieder zu meinem Busch und kniff die Augen zusammen. Ich versuchte reglos liegen zu bleiben und flach zu atmen. „Seltsam“, murmelte sie.
„Kommst du mit runter?“ Angela klang wieder fröhlicher und war vom Fenster weggegangen.
„Klar.“ Amy machte einen Schritt ins Zimmer. Dann hielt sie noch einmal inne und blickte in meine Richtung. „Sag mal, hast du eigentlich die Telefonnummer der Clearwaters?“

„Clearwater?“
„Seth? Hey! Hier ist Amy!“
„Amy! Hi! Na, wie geht’s dir?“
„Sehr gut, würd ich sagen. Dir?“
„Gerade perfekt.“ Ich hörte sie beinah lächeln.
„Das ist schön. Ähm … ich wollt mal fragen, wegen .. ähm .. nachher?“
„Ja. Willst du denn kommen?“, fragte ich vorsichtig.
„Auf jeden Fall!“ Sie klang empört über meine Nachfrage. Ich konnte mir ein Lachen kaum verkneifen. „Du etwa nicht?“
„Machst du Witze? Ich kann’s kaum erwarten! Komm so schnell du kannst! Oder soll ich dich holen? Jetzt sofort?“
Jetzt hörte man ein Lachen vom anderen Ende der Leitung.
„Am liebsten schon! Aber ich muss hier jetzt erst noch was essen. Sagen wir so gegen halb zwei?“
„In Ordnung. Findest du zum First Beach?“
„Ich denke schon.“
„Dann sehn wir uns da.“
„Ich freu mich schon drauf.“
„Und ich erst! Guten Appetit!“
„Danke.“ Sie lachte wieder. „Ich beeil mich!“
„Bis dann.“
Dann brach die Verbindung ab. Kaum hatte Amy beschlossen, mich anrufen zu wollen, hatte ich all meine Kraft zusammengenommen und mich von ihrer Stimme entfernt. Es war mir genauso schwergefallen wie letzte Nacht. Ich war so schnell durch den Wald gelaufen, wie ich konnte und hatte die Haustür gerade in dem Moment erreicht, in dem das Telefon klingelte.
Jetzt lagen noch anderthalb Stunden ohne sie vor mir.
Mum und Leah schienen bei den anderen zu sein und beim Aufräumen zu helfen. Ich ging wieder auf die Veranda, um herauszufinden, ob sie noch oben auf den Klippen waren, oder bei Emily oder Jake. Der Großteil schien bei den Kippen zu sein. Und sie waren am Essen. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich seit gestern Abend nichts mehr zu essen bekommen hatte. Ich lief wieder in den Wald und hastete zu den anderen. Heute war ich echt zu aufgedreht; nur unterwegs. Ich dachte schon voller Vorfreude an den Nachmittag. Auch wenn ich ihr einiges zu erklären hatte …

Die Sonne schien vom strahlend blauen Himmel, als ich aus dem Wald trat.
„Da ist er ja!“
„Hey!“
„Seth!“
Ich wurde von einigen Stimmen begrüßt.
„Morgen, Leute!“ Ich lief die letzten Meter auf sie zu. Gut 15 große Männer und einige Frauen saßen in den Pavillons und an den Tischen. Und sie schauten zu mir. Die meisten neugierig und erwartungsvoll; einige verständnisvoll und lächelnd.
Meine Haut wurde noch ein bisschen heißer. „Was?“, fragte ich, als keiner den Blick abwendete.
Sam stand auf und schlug mir leicht auf die Schulter.
„Alles Gute, Kleiner! Pass gut auf sie auf!“ Er lächelte mir aufmunternd zu und verschwand Richtung Pavillons.
Jake lächelte mich mit seinem großen, breiten Gute-Laune-Grinsen an. „Ich hab’s dir die ganze Zeit gesagt! Ich hab’s dir gesagt! Sie hat nur darauf gewartet!“
„Und ich hab dir gesagt, du sollst Amy begrüßen!“ Meine große Schwester sah mich kopfschüttelnd an. „Du bist sooo ein Dickkopf, Seth! Wirklich!“
Und ich stand da und fing an zu lachen. „Ist ja schon in Ordnung, Leute! Reg dich ab, Leah! Ja, ihr habt alle Recht gehabt! Ich hätte euch von Anfang an glauben sollen. Es ist das Beste, was einem passieren kann! Und Amy ist die bezauberndste Person, die ich je getroffen habe! Ich …“
„Wir freuen uns auch alle für dich, Seth!“ Sam kam von hinten auf mich zu und hielt mir einen vollgepackten Teller hin. „Iss erst mal was. Ich hör deinen Magen ja schon bis hierher knurren!“
Ich lächelte. „Danke, Sam.“
„Kein Thema.“
Ich setzte mich mit meinem Teller zu ihnen an den Tisch und begann zu essen. Schon nach zwei Gabeln wurde ich wieder unterbrochen.
„Jetzt erzähl doch mal! So ruhig kenn ich dich ja gar nicht!“
„Und ich kenn dich nicht so ungeduldig, Leah! Was willst du denn hören?“
„Alles!“
Ich begann ihnen alles zu erzählen, was sich seit gestern Abend aus meiner Sicht zugetragen hatte. Ich erzählte ihnen von Amy, ihrer Familie, meinem Besuch bei ihr heute morgen und beantwortete all ihre Fragen.
Nachdem ich auch den zweiten Teller aufgegessen hatte, wollte Sam wissen, ob sie schon von unserer „wahren Natur“ wisse.
„Noch nicht, aber wir treffen uns gleich unten am Strand. Ich werde ihr alles erzählen.“
„Was glaubst du, wie sie reagiert?“, wollte meine Mum wissen.
„Ich hoffe, sie nimmt es gut auf. Klar, hab ich meine Zweifel, aber ich meine, sie mag mich wirklich. Sie mag sogar Leah!“ Einige guckten mich verwundert an. „Ja, wirklich, sie meinte, du wärst echt nett, Schwesterchen! Ich glaube, sie mag euch alle. Sie ist hoffentlich stark genug, es zu verstehen und wird damit zurechtkommen.“
Sam nickte mir zustimmend und aufmunternd zu.
„Sie wird dich nicht für ein Monster halten, Seth. Ich glaube, sie wird dich sogar noch mehr mögen.“ Jake war immer noch am Dauergrinsen. Er schien sich sehr für mich zu freuen und auch über die Erkenntnis, dass er, seiner Meinung nach, Recht gehabt hatte. „Glaub mir, ich hab Erfahrung auf diesem Gebiet.“
„Nicht alle fühlen sich zu Kreaturen aus Horrorfilmen so stark hingezogen, wie Bella.“
„Kim kommt auch damit zurecht“, warf Jared ein und lächelte seiner Freundin schalkhaft zu.
„Ich hab damit auch kein Problem“, sagte Emily. Ich blickte ihr ins Gesicht. Sie war durch ihre Narben gezeichnet. Sie hatte ihr hübsches Gesicht durch einen unbeherrschten Moment verloren. Sam war ausgerastet und hatte sich selbst für den Bruchteil einer Sekunde vergessen. Und Emily musste leiden. Sie hatte dafür bezahlen müssen. Wir alle wussten, wie sehr Sam das quälte, in jedem Moment, indem er sie sah. Aber Emily hatte sich nicht abschrecken lassen. Sie war bei Sam geblieben. Sie hatte ihm ihre Liebe nicht entzogen, hatte ihn sogar geheiratet. Sie würde für immer bei ihm bleiben. Obwohl er sie so verletzt hatte.
Ich wünschte mir sosehr, dass Amy es so gut verstand wie Emily und zugleich wünschte ich mir, nie, auch nicht nur für einen Moment, die Beherrschung zu verlieren. Ich würde es mir nie verzeihen können, Amy so etwas anzutun. Ich würde jeden Augenblick darauf achten, sie nicht zu verletzten, ganz egal, was sie nach diesem Nachmittag von mir denken würde. Wenn ihr wegen mir auch nur ein kleiner Kratzer zustieße, selbst wenn sie mich hassen würde – ich könnte es mir nie verzeihen.
Während ich meinen Gedanken nachhing, begann am Tisch eine Diskussion darüber, welche Geprägte die Wahrhaftigkeit der Legenden am besten vertragen hatte. Jake plädierte für Nessie und Bella, Sam für Emily, Jared für Kim.
Ich drehte mich zu Quil neben mir. „Habt ihr schon was von Rachel und Paul gehört?“
„Rachel hat vor zwei Stunden bei Billy angerufen. Sie sind gut gelandet und waren gerade auf dem Weg zu Rebecca.“
Ich nickte. Flitterwochen auf Hawaii. Man konnte die beiden echt beneiden! Sie hatten sich schon gestern Abend verabschiedet und sich auf den Weg gemacht.
Es hatte schon seine Vorteile, wenn man Verwandte auf Hawaii hatte ...
Ob Amy wohl schon mal auf Hawaii war? Ob sie mal hinwollte?
„Halloho? Seth? Bist du noch da?“ Quil wedelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht rum.
„Was?“, fragte ich verwirrt. Hatte ich was verpasst?
Er und Jake fingen an zu lachen. Ich verstand immer noch nichts und wurde wieder rot unter meiner dunklen Haut.
Emily lächelte mir verständnisvoll zu. „Es ist viertel nach eins. Achte nicht auf die beiden, die haben mal wieder ihre fünf Minuten, in denen sie über jede Kleinigkeit lachen.“
Ich schaute meine Cousine erschrocken an. Viertel nach eins. Verdammt, ich musste los! Wenn sie früher kam ...
Ich sprang auf und hörte Jacob erneut aufheulen vor lachen. Dann schlug ihm etwas gegen den Hinterkopf. Vermutlich Sams Arm. Ich hörte das steinerne Aufeinanderprallen.
Schnell hatte ich sie alle hinter mir gelassen und eilte den Hügel zum Dorf hinunter. Ich lief in den Wald und verwandelte mich erneut in den sandfarbenen Riesen. Auf vier Pfoten schoss ich durch das Unterholz und näherte mich dem First Beach. Als ich die Wellen schon an den Strand rollen hörte und nur noch die Küstenstraße zwischen mir und dem Pazifik lag, wurde ich wieder zum Mensch. Ich zog mir meine Sachen so schnell an wie möglich und verhedderte mich sofort in meiner Hose. Immer wenn man es eilig hatte! Schließlich schaffte ich es dann doch noch und hastete auf die Straße.
Ein silberner Van bremste sofort ab und blieb nur wenige Meter von mir entfernt stehen. Der erschrockene Familienvater drückte heftig auf die Hupe, als ich einfach weiterlief.
Sollte er doch von mir denken, was er wollte.
Die Sonne blendete mich, als ich durch die letzten Büsche an den Strand sprang. Sie stand ziemlich hoch und strahlte immer noch von einem wolkenlosen Himmel. So gutes Wetter war selten.
Mein Blick wanderte nach rechts am Ufer entlang. Na super! Kaum schien die Sonne, kamen die Touristen! Ich befand mich am äußersten Rand des Strandes, kurz bevor er in den Wald und die Klippen überging. Näher am Dorf und am Parkplatz hatten sich zahlreiche Familien und einfache Touristen niedergelassen und erschwerten mir jede Suche nach Amy.
Aber ich spürte, dass sie noch nicht da war und sofort entspannte ich mich ein bisschen. Ich war nicht zu spät! Sie würde schon noch schlecht genug von mir denken, da musste ich nicht auch noch von vornherein einen schlechten Eindruck machen.
Mit der Sicherheit, dass sie am Parkplatz ankommen würde, lief ich – so langsam wie möglich um nicht aufzufallen – auf ihn zu. Ich kämpfte mich durch die Touristen auf ihren bunten Handtüchern und Picknickdecken und setzte mich schließlich auf die Stahlabsperrung am Parkplatz. Mit dem Rücken zum Ozean blickte ich angestrengt auf die Straße im Ort und lauschte auf Autos aus Richtung Forks.
Die Minuten vergingen und nichts tat sich. Ich riskierte einen Blick auf den Strand und erkannte auf der Armbanduhr eines Badegastes, dass es fünf vor halb war. Auch wenn sie noch lange nicht zu spät war, ich hätte doch früher mit ihr gerechnet. Ich blickte wieder nach La Push.
Dann hörte ich ein Auto aus Richtung Forks. Als der blaue Wagen um die Kurve kam, war ich so enttäuscht, wie bei den sieben Autos zuvor. Der Mann fand noch einen Platz am Rand des fast vollen Parkplatzes und stieg gemeinsam mit seiner Frau und den zwei Kindern aus.
Ich beobachtete die glückliche Familie und ihren liebevollen Umgang miteinander. Ob Amy und ich wohl je …
Noch ein Wagen. Und plötzlich begann mein Puls wieder zu rasen. Sie kam also! Nervös fuhr ich mir mit den Fingern durch die Haare. Ich zog an meinem T-Shirt herum und blickte wieder auf die Straße.
Dann bog das schwarze Auto um die Kurve und mein Herz machte Saltos, als ich Amy vom Beifahrersitz aus zu mir hinüber lächeln sah.
Sofort merkte ich, wie alle Anspannung von mir abfiel und sich ein breites Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitete. Ich sprang von der Metallstange und lief auf das andere Ende des Parkplatzes zu. Nach ein paar Schritten bremste ich ab und versuchte, so lässig wie möglich zu wirken, aber als Amy dann ausgestiegen war, sich schnell von ihrer Cousine verabschiedet hatte und verlegen grinsend auf mich zu gerannt kam, war es vorbei.
Ich überließ mich meiner Freude; der Anziehungskraft meines Sternes, meiner Sonne, meines Universums.
Ich schloss sie in die Arme. Amy war überall.
„Seth“, flüsterte sie mir zu und ich hatte das Gefühl, sie drückte mich noch fester an sich. „Ich hab dich vermisst.“
Ich schloss die Augen und atmete den überwältigenden Duft ihrer Haare ein. „Du weißt nicht, wie sehr ich dich!“ Sie war wieder bei mir. Amy. Meine Amy.

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